Die Insel der Verlorenen - Roman
unentbehrlich. Ohne sie wären die Soldaten vor Hunger, vor Dreck und vor Einsamkeit eingegangen. Unentwegt randalierend und kreischend trugen sie die Wasserkrüge auf den Köpfen, schleppten das Gepäck und die Fleischvorräte. An den Flussufern wuschen sie die eigenen Röcke und die Uniformen ihrer Kerle. Am Abend kamen sie in die Kasernen oder in die Lager und kochten das Essen, gebratenes Hühnchen, Truthahn, ließen fettige Suppen garen, warfen Teigklöße ins Feuer. Zum Schlafen legten sie sich auf den Boden, deckten sich mit ihren sarapes zu, verschränkten die Beine mit denen der Soldaten. An frostigen Morgen sangen sie mit durchdringenden Stimmen corridos und mañanitas und wärmten die Luft mit dem Dunst frischen Kaffees. Danach sammelten sie ihre Siebensachen ein und setzten sich in Marsch, sobald die Offiziere brüllten: »Raus mit den Weibern!« Sie waren es auch, die das Beten übernahmen: für die lebenden Soldaten, damit sie nicht starben, und für die toten, damit sie nicht in der Hölle litten. Mehr als an Jesus oder den Heiligen Geist glaubten sie an Teresita Urrea, die Heilige von Cábora, eine lebendige Muttergottes aus Chihuahua, epileptisch und katatonisch und wundertätig, die ihre Gewehre segnete, damit jeder Schuss ein Toter wurde. Sie riefen die Soldatenfrauen um Schutz an und trugen zwischen den Brüsten Skapuliere mit einem Fetzen von Teresitas armseligen Kleidern oder einer Locke ihrer heiligen Haare. Wenn ein Soldat starb, waren die Frauen es, die ihn beweinten: mit viel Gefühl und einem weithin vernehmbaren Wehklagen, wenn sie den Toten geliebt hatten; lustlos und wie eine lästige Pflichtübung, war er ein Unbekannter.
Sie waren auch fürs Plündern zuständig. Nach der geschlagenen Schlacht und wenn ihre Leute gewonnen hatten, verschafften sich die Soldatenfrauen Zutritt zu besiegten Dörfern und verlassenen Gehöften. Dort trampelten sie auf Verwundete und schoben die Leichen mit dem Fuß beiseite, um alles kaputt zu schlagen, in Brand zu setzen und, was brauchbar war, zu rauben, um dann blutverschmiert, rußgeschwärzt und siegestrunken mit der Beute bepackt zurückzukehren.
Sie waren versierte Schmugglerinnen. Im Mieder, in den Windeln ihrer Kinder und den Stapeln ihrer Tortillas versteckten sie Marihuana-Blätter. Sie entzogen sich geschickt den Kontrollen und Durchsuchungen in den Kasernen, um sie ihren juanes zu bringen. Sie waren die Hüterinnen dieses heiligen Krauts, des von Freiheit kündenden Krauts, des einzig Guten und Wahren inmitten der Trostlosigkeit und der Armut der Kampftruppen.
Und sie waren die Kuriere sämtlicher Nachrichten für die Jungs. Denn die eingesperrten, isolierten Männer bekamen nichts anderes zu hören als das Gebrüll der Offiziere, nichts anderes zu sehen als das eigene Elend, und hatten nichts anderes im Sinn als ihre Zeit herumzubringen und da wieder rauszukommen. Was im übrigen Universum geschah, drang nicht bis hinter die Kasernenmauern vor. Hätte es nicht die Soldatenfrauen gegeben, die dort ein und aus gingen, mit dem Gemischtwarenhändler plauderten, wo die örtlichen Gerüchte zusammenkamen; mit dem Eisenbahner, der Neuigkeiten aus der Ferne mitbrachte; mit der Geliebten des Generals, die ihre Ohren spitzte, um die Pläne der Vorgesetzten zu belauschen. Über ihre Weiber erfuhren sie, ob das Bataillon in die Schlacht oder auf die Reise geschickt wurde. Dank ihrer vergaßen sie nicht, dass es sie noch gab, die Welt da draußen.
Wenn sich ihr die Gelegenheit bot, konnte es vorkommen, dass eine soldadera am Krieg teilnahm. Fiel ihr Kerl, dann erbte sie das Pferd, legte den Patronengurt um und das Gewehr an.
Tirsa Rendón, die Frau von Leutnant Cardona, war eine von ihnen. Eine Soldatenfrau.
Eines Tages lernten sie sich kennen, weil das Leben in der Truppe sie irgendwo in Yucatán oder auf einer Landstraße von Cananea zusammenführte. Wahrscheinlich schlossen sie eine Notehe, aus Liebe und als Zweckgemeinschaft, so wie General Urquizo – mit denselben Worten, aber anderen Protagonisten – erzählt, der in seinen Jahren als Soldat in der Truppe derlei erlebte.
Die junge Tirsa und der hübsche Cardona hatten sich noch nie im Leben gesehen. Zufällig saßen sie bei einer Truppenverlegung in der Eisenbahn nebeneinander auf der Holzbank. Das Schicksal drängte sie in dem mit Soldaten, Soldatenfrauen und Tieren überfüllten Waggon aneinander. Man konnte kaum atmen in der vom Schweiß, von ungewaschenen Füßen, von Lederzeug,
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