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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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gingen die Straße entlang. Lorenzen tippte ihm auf die Schulter. »Weißt, du, dass Nissens Hund tot ist?«
    »Nein, ist das wichtig?«
    »Es ist wichtig, wie er umgekommen ist.«
    »Wieso?«
    »Nissen hat Wotan in den Dünen gefunden. Mit gebrochenen Beinen, abgeknickt wie Zündhölzer. Sein Kopf war nach hinten gebogen, die Augen weit aufgerissen. Genickbruch.«
    Lorenzen raunte: »Und weißt du was? Wotan hatte einen Federkranz um den Hals.«
    Der Kapitän lachte laut auf. Sein Lachen sprang gellend in eine Geschichte hinein. »Als ich noch Leichtmatrose war, wir lagen in London vor Anker, hörte ich eines Abends, wie zwei Klabautermänner von Schiff zu Schiff klöhnten. Fragt der eine den anderen: Hast du eine gute Reise gehabt? Sagt der, der auf meinem Schiff hauste: Die Reise war schön, aber ich habe viel Mühe gehabt, die Masten zu stützen und die Segel zu halten und dann musste ich einige lecke Fugen abdichten. Wenn ich nicht an Bord gewesen wäre, wäre das Schiff untergegangen. Die Matrosen denken, sie hätten es sich selbst zu verdanken, dass sie nicht abgesoffen sind. Aber sie vergessen, dass ich sie am Leben gelassen habe. Deshalb mag ich hier nicht mehr sein. Noch heute Nacht verlasse ich das Schiff und suche mir eine neue Bleibe.
     
    Als ich das hörte, hatte ich sofort meinen Seesack geschultert und bin von Bord. Und ob du’s glaubst oder nicht: Mein altes Schiff ging wenig später mit Mann und Maus unter. Jau, jau, verdammich, Andreas, die Klabautermänner darf man sich nie zum Feind machen. Sie sind die Könige der Meere. Sie allein bestimmen über das Schicksal der Schiffe.«
    »Wann kommen die neuen Arbeiter?«, fragte Lorenzen übergangslos.
    Andreas Hartmann wunderte sich über die Sprunghaftigkeit des Kapitäns. »Ich habe immer noch keine Nachricht von Groth. Ich weiß es nicht.«
    »Dumme Sache.«
    »Ja.«
    »Dann musst du wohl rüberfahren.«
    »Ich? Ich fahre hier erst wieder runter, wenn der Leuchtturm steht. Außerdem, Groth ist zuverlässig.«
    Sie erreichten den Auktionsplatz. Der Geruch von Teer und Tauen, von salzwassergetränktem Holz und Segeltuch erfüllte die Luft. Überall standen Grüppchen herum. Es waren meist ältere Männer. Sie trugen ihre fest gewirkten Seemannsjacken. Sie kratzten sich den Bart, zogen an ihren Pfeifen, prüften Segel, Tauwerk, Rahen, Schiffsanker, Wasserfässer und Holz, das herumlag. Einige saßen auf den Tauschnecken oder einem Branntweinfass, das sie zu ersteigern gedachten. Andere liefen zum Schiffswrack hinüber. Die Frauen versammelten sich um die Küchengeräte. Ihre Kinder klapperten mit Topfdeckeln und Löffeln.
    Andreas Hartmann klopfte das Herz. Im Gewirr der Frauen erkannte er die Krabbenfrau. Sie war ganz in Schwarz gekleidet. Eine Witwe. Er war überrascht. Sie nahm eine Pfanne in die Hand.
    »Jacob, wer ist die Witwe dort mit der Pfanne?«
    »Das ist Keike Tedsen. Mit Töchtern.«
    Keike, dachte Andreas Hartmann, ein wunderschöner Name. »Was macht sie?«
    »Was Witwen so machen. Sie kümmern sich darum, dass sie genug zu essen haben.«
    »Und ihr Mann?
    »Der war Speckschneider, ist in Grönland verunglückt. Sein Vater war mit an Bord, hat aber überlebt. Er ist nicht ganz richtig im Kopf, musst du wissen. Ich kenne Julius noch von früher. War ein zuverlässiger Bursche, der anpacken konnte. Jetzt ist mit ihm nichts mehr anzufangen. Er schreit und zetert die ganze Zeit. Nun hat Keike ihn im Haus. Wieso fragst du?«
    »Nur so.«
    »Die Keike ist eigentlich ne Nette, sie hat aber so ihre Stimmungen.«
    Andreas Hartmann spürte ihren Fußtritt an seinem Schienbein. Er musste lächeln.
    Lorenzen drängte. »Komm, wir gehen uns auch mal das Wrack ansehen.«
    Andreas Hartmann vergaß den Trubel um sich herum. Er hatte nur noch Augen für Keike.
    »Sieh dir das aufgesplissene Holz dort am Rumpf an. Das kommt von der Sandbank, die das Schiff gerammt hat. Eine Strandung, musst du wissen, läuft immer gleich ab. Setzt ein Schiff auf einer Sandbank auf, heben es die Wellen hoch, um es dann wieder auf den Sand zurückzuschleudern. Ein paar solcher Schläge genügen, um die Planken aus ihren Fugen …«
    Sie legte die Pfanne zurück, nahm eine andere, sagte etwas zu den Kindern. Sie lachte.
    »Sobald das Schiff leck gestoßen ist und sich mit Wasser füllt, kippt es mit dem Deck seewärts zur Seite. Jetzt haben die Wellen leichtes Spiel. Sie prallen mit voller Wucht gegen das Schiffsdeck …«
    »Und jetzt, meine Herren«, schrie der

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