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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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grübelnden Träumereien meiner Mutter nacherlebte, muß bald nach ihrer Landung gekommen sein, während sie mich noch im Bauch trug. Diese Vision hatte ich immer wieder, aber erst nach dem Tod meiner Mutter ging mir ihre Bedeutung auf. In der geträumten Nacht blies der Wind wie wild, die Wellen schlugen hoch, und die bleiche Gischt spritzte noch höher. Die großen Palmen am Waldrand krümmten sich fast bis zum Boden. Dann fiel etwas brennend vom Himmel.
    Es schlug mit einer mächtigen Flammenfontäne am Strand ein, schoß höher als jedes Feuer, das meine Mutter hätte machen können, und wenn sie eine ganze Woche lang trockenes Holz aufgeschichtet hätte. Im nächsten Augenblick war die gewaltige Lohe nur noch knisternde Glut, rot und dunkelgelb. Aus dem Loch im Sand, das durch den Einschlag entstanden war, stieg etwas empor, das unförmig wie Rauch war, aber sich rasch verdichtete. Meine Mutter kämpfte damit. Ich weiß nicht, wie sie es machte oder warum, aber wenn ihre Träume von jener Nacht in mich einsickerten, spürte ich ihre Furcht, ihren Grimm und sogar einen Geschmack jener kalten Zufriedenheit, die sie empfand, als sie nach einem langen, grauenhaften Ringen endlich die Geisteskette fand, mit der sie das Ding fesseln konnte. Nichts in ihrem Traum verriet mir, was danach geschehen war. Eine große Schlacht war geschlagen worden, und ich war auf dem leeren Schlachtfeld aufgewachsen, doch die Bedeutung des Kampfes, die Wahrheit seines Ausgangs, sollte ich nie erfahren. So jedenfalls dachte ich lange.

Das Loch
     
     
     
    Ich hatte meine eigenen Kämpfe. Die Insel war reich an Gaben, aber nicht alle waren von milder Art. Wie die Äste voll von dicken, saftstrotzenden Früchten hingen, die mir fast von selbst in die Hand fielen, bevor ich sie pflücken konnte, so gedieh in gleichem Maße auch reichlich anderes Leben: Für jeden farbenfroh gefiederten oder süß singenden Vogel gab es anscheinend irgendein stechendes Insekt, was einer der Gründe war, weshalb wir in einer verräucherten Hütte lebten. Diese winzigen Heerscharen waren immer mindestens lästig, doch wenn der Abend dämmerte, wurden sie besonders bösartig. Es gab, so schien es manchmal, genauso viele verschiedene Arten wie Sandkörner am Strand: hundertfüßige Würmer, beißende Fliegen, grüne Krabbler, glänzend gepanzerte Brummer, Schwirrer, Sandspritzer, Deckenwühler, jede mit ihrer eigenen Besonderheit und Sturheit, jede darauf aus, mein junges Fleisch zu durchbohren. Ich lernte rasch, mir den Fruchtnektar von Gesicht und Händen zu waschen, wenn ich gegessen hatte, denn das lockte sie mehr als alles andere an. Einen großen Teil der Zeit ging ich auch mit einer zweiten Haut aus angetrocknetem Schlamm umher, was wenigstens die kurzstachligeren Sorten unschädlich machte.
    Des weiteren gab es Schlangen auf der Insel, und zwar in fast genauso großer Vielfalt, von winzigen, kaum fingerlangen und fadendünnen Vipern bis hin zu einer gewaltigen und zum Glück recht langsamen Python, die auf der anderen Seite der Insel in den Bäumen lebte, gute zehn Schritte lang und mit einem Umfang wie meine Taille, am ganzen Leib mit einem Muster schwarzer, weißer und brauner Schuppen überzogen, das es an Kunst mit jedem Teppich hier in deinem großen Haus aufnehmen kann. Ich ließ die Teufelsbestie nie so nahe an mich heran, daß sie mir etwas tun konnte, oft aber sah ich ihr funkelndes Auge, wenn sie bewegungslos von einem Ast hing, um sich zu sonnen und alles, was vorbeikam, mit herrischem Blick zu beobachten, vor allem einen schmackhaften Happen wie mich. Sie hatte keine Eile. Wahrscheinlich lebt sie immer noch auf der Insel und wartet. Vielleicht bietet sich ihr eines Tages doch noch die Gelegenheit, mich zu schnappen.
    Eines Morgens spazierte ich einmal auf der Sonnenseite der Insel über einen Berghang. Vielleicht erinnerst du dich an den Ort – die Brotfruchtbäume wuchsen dort. Das war noch vor eurer Ankunft, bevor meine Mutter würgend und um sich schlagend den Tod fand. Es hatte geregnet, und Boden und Blätter waren feucht; selbst die Luft war naß. Ich streifte durch das hohe Gras und trat mit den Füßen aus, um die Tropfen fliegen zu sehen, da hörte ich es auf einmal rascheln und krachen.
    Ich ließ mich erschrocken auf Hände und Knie fallen, denn dem Geräusch nach war das, was sich dort im Gestrüpp herumtrieb, recht groß. Daß es nicht meine Mutter war, wußte ich, denn ich hatte sie erst kurz vorher dabei gesehen, wie sie vor

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