Die Insel des Mondes
das Schwimmen im eiskalten Bergsee beigebracht hat, und wie Sie das Prickeln auf der Haut genossen haben.«
Die Scham brannte Paula ein Loch in den Magen, o Gott, was hatte sie denn sonst noch alles erzählt? »Und haben wir … Haben wir, also, ich meine …?« Warum kam er ihr nicht zu Hilfe?
Villeneuve hockte sich neben sie. »Schauen Sie mich an.«
Paula öffnete widerwillig ihre Augen, hinter ihm schwankte und drehte sich alles.
»Niemals, ich betone, niemals würde ich eine Frau ausnutzen, die vollkommen betrunken ist.« Er grinste jetzt breit. »Nicht einmal dann, wenn sie mir ganz eindeutig Avancen macht.«
Dieses Scheusal, was wollte er damit andeuten? Paula fühlte sich zwar hundeelend, aber die Empörung wallte durch ihre Adern. »Oh, was für ein Gentleman!«, meinte sie und hoffte, ihr Ton hatte ihn bis ins Mark getroffen. Ein echter Gentleman hätte kein Wort darüber verloren, dass sie ihm Avancen gemacht hatte, was sie im Übrigen auch für unmöglich hielt. Er nutzte nur aus, dass sie sich nicht erinnern konnte. Etwas, das noch nie zuvor geschehen war, und sie schwor sich, dass ihr das auch nicht mehr passieren würde, nie mehr. Und ich dachte, ich hätte alle Demütigungen, die es gibt, schon durch, grübelte Paula, während sie sich darauf konzentrierte, sich nicht zu übergeben. »O ja, ein echter Gentleman!«, flüsterte sie noch einmal.
»Das finde ich auch, und deshalb hole ich Ihnen jetzt einen Tee, und Sie sollten etwas essen.« Er verließ das Zelt, Paula hörte, dass er draußen mit Noria sprach, die ganz offensichtlich Nirina zu ihr bringen wollte. Villeneuve nahm den Kleinen, und Paula bildete sich ein, Nirina fröhlich lachen zu hören.
Dann schlief sie ein, und als sie das nächste Mal aufwachte, spürte sie, dass sich jemand neben ihr befand, aber leider konnte sie nicht riechen, wer es war. Vorsichtig blinzelte sie durch ihre Wimpern hindurch und erkannte Noria, die mit gekreuzten Beinen im Schneidersitz neben ihr saß, Nirina auf ihren Schoß gebettet hatte und den Brief von Mathilde studierte.
»Was tun Sie da?«
Noria zuckte zusammen und starrte Paula an. »Ich war neugierig, warum Sie in den Fluss gesprungen sind. Wir alle wollten das gern begreifen. Jetzt habe ich verstanden.« Sie sah Paula durchdringend an, als wollte sie ihr etwas sagen. Doch obwohl es ihr besser ging, war sie nicht in der Lage zu erfassen, was Noria meinte.
Noria reichte ihr Nirina. »Er vermisst Sie, glaube ich.«
Paula nahm ihn auf den Arm und war verblüfft, wie vertraut er sich anfühlte. Sie streichelte seine Wangen, fand, dass er abgemagert wirkte, und fragte Noria, ob sie im Dorf Milch für den Kleinen auftreiben könnte.
Noria nickte und erzählte ihr dann, dass sie nun wieder Träger hätten, die sie bis zum Ende ihrer Reise begleiten wür den, und sie bereit seien. Es sei eine große Ehre für die Träger. Sie grinste und fügte dann noch hinzu: »Natürlich wollen sie trotzdem bezahlt werden, aber das ist ja kein Problem mehr.«
Paula versuchte zu verstehen, worauf Noria anspielte, und sah sie fragend an. Noria zeigte als Erklärung auf den Brief von Mathilde, aber Paula verstand es immer noch nicht.
»Gold!«, sagte Noria, und dann wurde Paula schlagartig klar, warum ihre Großmutter den Brief so gut versteckt hatte. Gold weckte die Gier der Menschen viel mehr, als es ein Parfüm je vermocht hätte, und sie fragte sich, wer noch alles davon wusste.
»Noria, das ist doch nur ein Brief, ich habe keine Ahnung, wo Mathilde das Gold gefunden oder versteckt hat. Dieser Brief ist schon viele Jahre alt.«
Norias Augen verdunkelten sich. »Wenn wir am Ziel sind, werden wir es finden.«
»Mit wem hast du darüber gesprochen?«
Noria beugte sich zu Nirina und streichelte seinen Kopf.
»Noria, mit wem?«
»Hallo?« Villeneuve steckte seinen Kopf in Paulas Zelt.
»Darf ich reinkommen, ich habe eine Suppe, die Ihnen guttun wird.«
»Wir kommen raus.« Paula drängte Noria geradezu aus dem Zelt, dann packte sie mit einer Hand Mathildes Buch und ihren Brief, während sie Nirina mit der anderen fest hielt, schob alles in die noch immer feuchte Ledertasche und hängte sie sich um. Sie sollte die Sachen nicht mehr aus den Augen lassen.
Als sie aus dem Zelt trat, standen ihre Reisegefährten dort schon und sahen sie erwartungsvoll an.
Und Paula konnte es in ihren Augen erkennen. Sie alle hatten ihren Brief gelesen. Was für eine Ironie! Jahrelang hatte kein Mensch den Brief entdeckt und jetzt
Weitere Kostenlose Bücher