Die Insel des Mondes
gleich so viele.
»Geht es Ihnen besser?«, fragte Morten, der versuchte, munter zu wirken, aber wieder griesgrämiger aussah als gestern.
»Wann können wir weiterreisen?« Villeneuve kam gleich zur Sache.
»Die Träger sind bereit«, erklärte Noria.
Paula fühlte sich noch nicht imstande nachzuforschen, wer was wusste. Unwillkürlich presste sie Nirina fester an sich und streckte die Hand nach dem Becher Suppe aus, den ihr Villeneuve reichte. Weil alle sie anstarrten, als erwarteten sie, dass etwas passieren würde, wenn sie davon trank, kam es ihr vor, als wäre es der Schierlingsbecher – trotzdem trank sie die würzige Suppe in einem Zug aus. Oder glotzten sie alle nur so neugierig, weil sie dachten, Paula hätte in den Wor ten ihrer Großmutter etwas entdeckt, was ihnen entgan gen war?
Sie musterte jeden der drei und fragte sich, wem sie wirklich vertrauen konnte. Morten, dem Missionar, den sie im Bordell kennengelernt hatte, dem unfreundlichen Villeneuve, der immer sehr beherrscht wirkte, sogar noch nach dem Tod seines Assistenten Lázló? Noria, von der sie nur wusste, dass sie viele Sprachen konnte und bei Missionaren aufgewachsen war? Jeder von ihnen konnte Gold sehr gut gebrauchen. Und sie waren alle Abenteurer, denn wer sonst hätte sich auf diesen gefährlichen Weg gemacht. Aber würden sie ihr etwas antun, sie aus dem Weg räumen, wenn sie wüssten, wo Mathilde das Gold versteckt hatte? Eine Gänse haut lief über Paulas Rücken, als ihr klar wurde, dass die Antwort nur ein »Vielleicht« war.
Villeneuve ist immerhin in den Fluss gesprungen, um dich zu retten, flüsterte ihre innere Stimme, ausnahmsweise einmal freundlich gestimmt. Ein Reflex, dachte Paula, nur eine automatische Reaktion, weil er Arzt ist.
»Hat jemand von Ihnen einen Brief aus Lázlós Sachen entwendet?«, fragte sie und war gespannt, was dabei herauskäme.
»Was wollen Sie denn da andeuten?« Morten lief hibiskusrot an, Villeneuve hingegen hatte sich gefährlich gut unter Kontrolle, und Noria lächelte nur, wahrscheinlich bei dem Gedanken an Lázlós Liebeskünste.
»Niemand also, das habe ich mir schon gedacht.« Sie wandte sich an Noria. »Konntest du schon Milch für Nirina besorgen?«
Noria schüttelte den Kopf und ging eilig davon.
Paula ließ Villeneuve und Morten stehen und lief mit Nirina zum Fluss, wo die Hitze erträglicher war.
Sie setzte sich auf einen Felsen in der Nähe des Wassers, drückte ihre Wange gegen die von Nirina und seufzte. Sie wünschte sich einen winzigen Moment lang, so klein zu sein wie er und geborgen im Arm von jemandem zu liegen, dem man vertrauen konnte. Sie entdeckte zwei Krokodile im Fluss, die sich träge mit der Strömung treiben ließen. Ich könnte in deren Bauch liegen, dachte sie. Und das Einzige, was ich dort noch bewirken könnte, wäre, ihnen Verdauungsbeschwerden zu bereiten. Sie lächelte unwillkürlich. Und hier kann ich doch ein bisschen mehr tun, trotz allem. Sie tastete nach ihrer Nase, immer noch dick, immer noch wie tot. Wie ein Echo zu ihrer Bewegung griff Nirina mit seinem Händchen auch an seine winzige Nase, und Paula musste noch breiter lächeln. Und weil die Krokodile mich nicht fressen wollten, sollte ich jetzt all das tun, was ich immer noch kann. Mich um dich und um Mathildes Land kümmern, und wer weiß, vielleicht kann man sogar Vanille anbauen, ohne sie riechen zu können. Nur das mit dem Parfüm, das wird schwierig. Sie stand auf. Die anderen hatten recht, sie sollten aufbrechen.
40
Mit Gold nicht aufzuwiegen
D em Herrn sei Dank, es ist mir gelungen, Madame Kellermann so betrunken zu machen, dass sie völlig weggetreten war und ich in aller Ruhe den Inhalt der Ledertasche begutachten konnte. Doch was für eine Enttäuschung! Ich war so sicher, endlich am Ziel meiner Wünsche angekommen zu sein, und dann wieder nur kryptische Andeutungen!
Dass die Alte Gold gefunden hatte, wusste ich ja längst von meinem unverhofften Wiedersehen mit Edmond. Ich muss zugeben, dass es sogar mir das Herz zerriss, als ich ihn auf unserer alten Plantage getroffen habe. Ich hatte erwartet, sie würde in voller Pracht stehen. Immer war ich davon ausgegangen, dass die anderen Pflanzer nur darauf warteten, bis die Preise für unser Land in den Keller stürzten, um dann hemmungslos zuzugreifen, aber ich hatte mich getäuscht. Niemand hatte das Land gekauft, es lag brach, bis auf ein kleines Stückchen in der Nähe des Meeres. Das war sauber gepflegt, jemand hatte Stämme in den
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