Die Insel des Mondes
gedacht, sie wären auf dem besten Weg gewesen, langsam Freundinnen zu werden, aber da hatte sie sich gewaltig getäuscht.
Noria deutete auf die Dose und räusperte sich. »Das ist eine lange Geschichte, möchten Sie sie hören?«
Paula nickte, immer noch sprachlos.
»Die Missionare haben mir immer erzählt, sie hätten mich aus einem Krokodilfluss gerettet, aber das war eine infame Lüge, die mir mein Land und seine Bräuche verderben sollte. Wahr ist jedoch, dass meine Mutter mich ausgesetzt hat, weil ich ein Zwilling war, noch dazu an einem Unglückstag geboren. Mein Vater wollte mich retten, vielleicht, weil er sich schuldig fühlte, oder vielleicht weil er meiner Mutter schon genug Übel angetan hatte. Sie war nur ein billiger Trost für seine wahre große Liebe, die einer alten Hexe galt.« Noria blickte Paula spöttisch ins Gesicht. »Ihre Großmutter war schon alt, es war unrecht von ihr, einem so jungen Mann wie meinem Vater den Kopf zu verdrehen, ihn zu verhexen.«
Das war es also, Edmond war Norias Vater. Paula begann zu rechnen. Ihre Großmutter war doppelt so alt gewesen, Edmond konnte also leicht Norias Vater sein. Offensichtlich hatte Edmond Mathilde um viele Jahre überlebt. Aber warum war er nicht hier auf der Farm und hatte ihren Traum von der eigenen Vanillefarm weitergeführt?
»Und wo ist Ihr Vater? Kann ich mit ihm sprechen?«
Noria schüttelte den Kopf. »Er ist tot. Ich habe ihn nie kennengelernt, ich habe nur einen Brief, den er mir geschrieben hat. Außerdem war er so ungemein taktlos, mir einen Brief zu hinterlassen, den Ihre Großmutter an ihn geschrieben hat. Ich denke, es war ihr letzter Brief, der, in dem sie ihm von ihrem Goldfund erzählt hat.«
»Und wie sind diese Briefe zu Ihnen gelangt?«
»Da kommt Morten ins Spiel. Er ist zurück zu der Plantage seiner Eltern gekommen – die Plantage, die auch das Leben meines Vaters so entscheidend bestimmt hat –, weil er sie wieder in den Besitz der Familie bringen wollte. Dort hat er meinen Vater getroffen, sterbenskrank. Edmond gab Morten die Briefe mit der Auflage, mich zu finden.« Noria lachte böse auf.
»Morten?« Paula dachte nach. Morten wollte die Plantage zurückkaufen … Und plötzlich ergab alles einen Sinn. Mor ten war der kleine Junge, den ihre Großmutter nicht gemocht hatte und der sie beim Juwelendiebstahl überrascht hatte.
»Aber mein Vater war kein kluger Mann, genauso gut hätte er die Briefe dem Teufel selbst anvertrauen können.«
»Wie meinen Sie das?«
»Morten suchte zuerst allein nach dem Ort, an dem Ihre Großmutter das Gold entdeckt hatte. Erst als ihm klar wurde, dass er es allein nicht einmal schaffen würde, herauszufinden, wo die Farm Ihrer Großmutter überhaupt liegt, hat er mich aufgesucht. Er hat damit genau die Zeit verschwendet, die mein Vater noch zu leben hatte, die Zeit, die ich noch mit ihm hätte verbringen können. Kurz nachdem ich herausgefunden hatte, dass er tot war, sind Sie auf Nosy Be aufgetaucht und haben jeden nach der alten Hexe gefragt. Da haben wir uns an Sie herangemacht.« Sie lachte freudlos. »Das war leicht, Sie sind genauso vertrauensselig, wie mein Vater es war.«
In Paulas Kopf ging alles durcheinander. »Aber warum ist Morten Norweger, wenn er doch auf der Plantage auf Réunion aufgewachsen ist?«
»Nachdem Ihre Großmutter den Schmuck gestohlen hatte und mein Vater im Gefängnis saß, ging es bergab mit der Farm. Schließlich erhängte sich Mortens Vater, und der Rest der Familie war gezwungen, die Farm zu verlassen. Morten musste dann bei einer seiner Schwestern in der Nähe von Christiania leben, und er hat den Schnee, die Kälte und die Dunkelheit immer gehasst.«
Paula stellte sich Morten als kleinen Jungen vor, der alles verlassen musste, der alles verloren hatte, und empfand Mitleid für ihn, obwohl er sie betrogen hatte. Vielleicht, ging es ihr durch den Kopf, war an diesem Tapsigen, Bärenhaften, das sie anfangs so bezaubernd an ihm gefunden hatte, etwas Wahres, das Morten tief in sich vergraben hatte, nachdem er seine Heimat verlassen musste.
»Dann war der Brief, den ich bei Lázló gefunden habe, der Brief von Mathilde an Ihren Vater, aber warum war er bei Lázló?«
»Als wir unser Gepäck zurücklassen mussten, haben wir ihm diesen Brief und das Medaillon mit dem Foto von Mortens Mutter untergeschoben, für den Fall, dass Sie wieder in unseren Sachen herumschnüffeln.«
Paula wollte empört widersprechen, als ihr der Tag einfiel, an dem sie
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