Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel des Schreckens

Die Insel des Schreckens

Titel: Die Insel des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans W. Wiener
Vom Netzwerk:
Balustraden überragten die Kuppeln und trugen an ihren höchsten Stellen seltsame Symbole. Auf schmalen Mauervorsprüngen wuchsen blühende Pflanzen, umrankten die Säulen und spannten sich wie Torbogen über die Wege und Straßen. Auf diese Weise war die gesamte Stadt von lebenden Bändern umgeben.
    »Eine friedliche Insel«, sagte Kalathee.
    Die Straßen der Stadt waren von Menschen bevölkert. Sie waren mit den verschiedensten Gewändern bekleidet und schienen unterschiedlicher Herkunft zu sein. Die Schiffe, die im Hafen vor Anker lagen, bestätigten diesen Eindruck. Es waren Schiffe aus aller Herren Länder. Mythor entdeckte die Zeichen Rukors, Salamos' und Tainnias. Er sah Schiffe aus Dandamar und Airon. Daneben gab es solche, deren Herkunft er nicht bestimmen konnte.
    Sie mussten aus Ländern stammen, von denen er noch nichts erfahren hatte.
    An der Bugwand eines der Schiffe waren auf weißem Untergrund eine Sonne, die Silhouette eines Einhorns und darüber ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen abgebildet. Es musste ein dandamarisches Schiff sein, wie an der Sonne und dem Einhorn zu erkennen war. Dabei erinnerte sich Mythor daran, dass Elivara, die Königin Nyrngors, einmal von einem Schiff gesprochen hatte, das seit vielen Monaten als vermisst galt. Dieses Schiff hatte Stoffe aus Tainnia holen sollen, und Elivara war der Meinung gewesen, dass es in die Hände der Caer gefallen sei. Sie hatte es nur kurz erwähnt, aber dennoch hatte sich der Name Mythor eingeprägt. Er lautete: Dandamarischer Vogel. Mythor war fest davon überzeugt, das vermisste Schiff gefunden zu haben.
    Die Kurnis trieb an zwei ins Wasser gelassenen Kuppeln vorbei und verlangsamte die Fahrt. Die Fische, die sie begleitet hatten, tauchten unter und verschwanden. Die Strömung ließ nach. Von einer unbekannten Macht gelenkt, fuhr die Kurnis in den Hafen und manövrierte sicher zwischen den verankerten Schiffen hindurch. Sie steuerte auf einen Steinwall zu, der als Landesteg diente, und legte an.
    Sadagar sprach aus, was Mythor vermutete: »Ich kenne viele der Schiffe. Für einen Wahrsager sind Hafenstädte das beste Arbeitsgebiet, und ich habe in vielen lange Jahre gelebt. Ich kannte die Schiffe und meistens auch die Mannschaft, und ich war immer der erste, der erfuhr, wenn irgendwo ein Unglück geschehen war oder eines der Schiffe nicht zurückkam und als vermisst gemeldet wurde. Für einen Wahrsager ist es wichtig, stets genau und umfassend informiert zu sein.« Seine engen grauen Augen funkelten listig. »Viele der Schiffe, die nicht zurückkamen, sehe ich hier wieder. Ich täusche mich nicht. Ich kenne sowohl die Zeichen als auch die Takelage und Aufbauten genau.«
    »Es ist die Erfüllung der Legende«, warf Nottr ein. »Diese Schiffe sind in den Bann der Insel geraten. So wie die Kurnis wurden auch sie eingefangen, und die Seeleute müssen nun in furchtbaren Zeremonien dienen!«
    »Aber die Menschen leben«, widersprach Kalathee. »Die Straßen sind bevölkert, und die Stadt ist freundlich. Überall wachsen Blumen und leuchten herrliche Farben.«
    Mythor fühlte sich keineswegs beruhigt. »Sieh dir die Menschen an«, sagte er.
    Die Tatsache, dass die Schiffsbesatzungen die Straßen dieser Stadt bevölkerten, hatte ihn nur auf den ersten Blick beruhigt. Sehr schnell fiel ihm auf, dass sie alle in einem unwirklichen Bann standen.
    Die Menschen bewegten sich seltsam steif. Wenn sie den Kopf wandten, drehten sie den gesamten Oberkörper mit, als ob sie ihren Hals nicht bewegen konnten. Ihr Blick war starr nach vorn gerichtet, ihre Augen wirkten glanzlos und stumpf. In den Pupillen spiegelte sich kein Leben.
    Die Leute gingen ständig den gleichen Weg. Sie marschierten die Straße am Hafen entlang hoch, drehten sich am Ende auf der Stelle um und liefen zurück. Dann begann das Ganze wieder von vorn. Ihre Füße bewegten sich mechanisch und gleichmäßig. Es sah so aus, als seien sie sich der übrigen Teile ihrer Körper überhaupt nicht bewusst .
    »Siehst du einen von ihnen sprechen?« fragte Mythor. »Hörst du irgendwelche Stimmen?«
    Über den belebten Straßen einer jeden Hafenstadt liegt eine Glocke aus einem ständig an- und abschwellenden Gemurmel und Geraune. Da hinein mischen sich die Rufe und Schreie der Fischhändler, Wasserverkäufer und Seeleute. Auch wenn die Dialekte in den verschiedenen Ländern unterschiedlich sind, die Kulissen aus Tönen und Geräuschen bleiben ständig gleich.
    Nicht jedoch in dieser Stadt. Stumm

Weitere Kostenlose Bücher