Die Insel des Schreckens
dröhnte Nottr über das Deck. Er stand am Ruder und hielt den hölzernen Griff fest umklammert. Er bestimmte den Kurs und warf das Ruder herum. Er wartete darauf, dass sich der Bug in die neue Richtung drehte. Er wartete vergeblich!
»Was ist, Nottr?« fragte Sadagar.
Der Lorvaner stieß einen Fluch aus und bewegte das Ruder zur anderen Seite. Doch wieder zeigte die Kurnis keine Reaktion.
»Wir bewegen uns nicht«, stellte Kalathee fest. »Das Schiff wirft keine Bugwelle!«
»Doch, wir bewegen uns«, verbesserte Nottr. Er lief zum Heck des Schiffes und sah ins Wasser. »Aber wir treiben gegen den Wind.«
»Gegen den Wind?«
»Eine Strömung muss uns ergriffen haben. Wir treiben nach Süden!«
»Dann stell dich ans Ruder, steuere dagegen an!« ereiferte sich Sadagar.
Nottr lachte und entblößte seine großen gelben Zähne. »Versuch es doch selbst einmal!«
»Können wir uns nicht aus der Strömung befreien?«
Nottr blickte auf das geblähte Segel und schüttelte den Kopf. »Der Wind ist zwar nur schwach, aber er müsste ausreichen, um das Schiff voranzutreiben. Ein fahrendes Schiff ließe sich manövrieren. Doch wenn wir treiben, nützt das Ruder nichts.«
»Wir nähern uns der Küste«, stellte Kalathee fest. »Wir treiben genau darauf zu.«
»Also doch festes Land«, triumphierte Sadagar. »Auf meine Augen ist Verlass!«
Der graue Schatten, den die Besatzung der Kurnis am Horizont ausgemacht hatte, nahm allmählich Konturen an. Ein weißer Strand wurde sichtbar, flache, bewaldete Hügel und in der Mitte ein kegelförmiger hoher Berg. Der Gipfel des Berges war in Wolken eingehüllt.
»Es scheint eine Insel zu sein«, sagte Kalathee.
»Und sie ist bewohnt«, ergänzte Sadagar. »Ich sehe eine Stadt und einen Hafen.«
»Zuuk!« murmelte Nottr. Er sprach es leise aus, und bei dem Klang des Worts lief den Gefährten ein Schauder des Grauens über den Rücken.
»Du kennst die Insel?« fragte Mythor.
»Es gibt eine alte Legende«, begann der Lorvaner. »Sie handelt von der Insel Zuuk. Wenn sie erzählt wird, verstummen die Seefahrer aller Welten und beten zu ihren Göttern.«
»Vielleicht ebenso ein Hirngespinst wie der magische Regen«, unterbrach Sadagar schnippisch.
»Irgendeine Macht des Meeres soll auf dieser Insel den Sitz ihres Reiches haben«, fuhr Nottr unbeirrt fort. »Vielleicht ist es der Herr der Winde, vielleicht der Fürst der Tiefe. Doch wer auch immer, es ist ein grausamer Herrscher, und finstere Mächte stehen ihm zur Seite. Schon viele Schiffe gerieten in den schrecklichen Bann dieser Insel, wenn sie in ihre Nähe kamen. Unerbittlich wurden sie von ihr angezogen, und keine Kraft konnte sie retten: weder die Segel noch die Ruder, noch Beschwörungen und Zauber. Es heißt, dass der betrunkene Kapitän eines Frachtschiffs hochmütig die Mächte beleidigt und herausgefordert hat. Er hat das Meer verflucht und die Gewalten verhöhnt. Es geschah in der Nähe dieser Insel, die bis dahin ein friedliches Eiland war. Niemals mehr wurde dieser Kapitän gesehen, und um die Insel legte sich ein Schleier des Grauens. Man sagte, dass der Kapitän ein Sklave der Macht wurde, die er verhöhnt hatte, und bis in alle Ewigkeiten muss er für den Hochmut zahlen. Und dann gibt es Zeiten, in denen das Blut dieses Armseligen nicht mehr ausreicht, und er wird gezwungen, Opfer zu bringen!«
»Menschenopfer«, flüsterte Kalathee.
»So geht die Legende«, sagte Nottr. »So wird sie von den Seeleuten erzählt. Schon viele gerieten in die Nähe der Insel, und viele kehrten nicht zurück.«
Mythor stand an der Reling. Sein Blick war auf das Land gerichtet, dem sie sich in gleichmäßiger Fahrt näherten. Unaufhaltsam trieb die Kurnis darauf zu. Niemand wusste, was die Besatzung dort erwartete. Wie eine fremde Melodie klang der Name in Mythors Ohren. »Die Insel Zuuk!«
Seltsame Fische tauchten neben der Kurnis auf und drückten ihre massigen Leiber gegen den Schiffsrumpf. Ihre bunt schillernden Flossen wühlten das Wasser auf und drehten allmählich das Schiff. Die Spitze des Bugs deutete jetzt auf das Land, und das Segel flatterte nutzlos im Wind.
Zahllose Gebäude säumten die Ufer der Insel. Es waren fremdartig ausschauende Bauwerke, aber sie wirkten prunkvoll. Die kuppelförmigen Dächer, die von hohen Säulen gehalten wurden, glänzten golden. An ihren Rändern waren sie mit durchsichtigen, farbigen Steinen besetzt, in denen sich vielfältig das Licht der Sonne brach. Spitze Türme mit schmalen
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