Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Schimmel bilden. Nicht lange darauf wird der Bauch da und dort aufplatzen, und aus den Öffnungen wird sich eine eitrige Suppe ergießen, und hier wird man ein wurmzerfressenes halbes Auge, da ein Stück Lippe schwimmen sehen. In diesem Schlamm wird sich dann eine Vielzahl von kleinen Fliegen und anderen Tierchen bilden, die sich in meinem Blute drängeln und mich Stück für Stück auffressen werden. Ein Teil dieser Wesen wird an der Brust herauskommen, ein anderer wird mit was weiß ich für einem Schleim aus der Nase fließen; andere werden, aufgelöst in jener Fäulnis, durch den Mund ein und aus gehen, und die Sattesten werden wieder durch die Kehle hinuntergurgeln ... Und derweil wird die Daphne allmählich zum Reich der Vögel werden, und Keime, die von der Insel herübergelangen, werden tierähnliche Pflanzen auf ihr sprießen lassen, deren Wurzeln sich an meinen Säften genährt haben werden, so dass sie sich in der Bilge verankern können. Schließlich, wenn die ganzeFabrik meines Leibes sich auf ein nacktes Skelett reduziert haben wird, werden im Laufe der Monate und der Jahre – oder vielleicht der Jahrtausende – auch diese Planken langsam zu Staubwolken von Atomen zerfallen, auf welchen die dann Lebenden wandeln werden, ohne zu begreifen, dass die ganze Erde mit all ihren Meeren, Wüsten, Wäldern und Tälern nichts anderes ist als ein lebender Friedhof.
Nichts ist so dienlich für die Genesung wie eine Übung in der Kunst des Sterbens, denn indem sie uns Ergebenheit lehrt, macht sie uns wieder munter. So hatte es der Karmeliter auf La Griva einmal gesagt, und so musste es wohl sein, denn Roberto verspürte auf einmal wieder Hunger und Durst. Schwächer als während seines geträumten Kampfs mit Ferrante, aber nicht mehr so schwach, wie als er sich bei den Hühnern hingelegt hatte, fand er die Kraft, ein Ei auszutrinken. Gut war die Flüssigkeit, die ihm da durch die Kehle rann. Und noch besser war der Saft einer Kokosnuss, die er sich in der Vorratskammer aufschlug. Nachdem er so lange über seinen toten Körper meditiert hatte, tötete er nun in seinem kranken Körper, damit er gesund wurde, die gesunden Körper, denen die Natur jeden Tag neues Leben gibt.
Deswegen hatte ihn auf La Griva, abgesehen von einigen Empfehlungen des Karmeliters, nie jemand gelehrt, an den Tod zu denken. In den Momenten des familiären Gesprächs, fast immer beim Mittagsmahl und beim Abendessen (nachdem Roberto zurückgekehrt war von seinen Erkundungen des alten Hauses, wo er sich womöglich verspätet hatte in einem schattigen Raum, betäubt vom Geruch der zum Reifen am Boden ausgelegten Äpfel), sprach man stets nur über die Güte der Melonen, die Getreideernte und die Hoffnung auf eine gute Weinlese.
Roberto erinnerte sich, wie seine Mutter ihn gelehrt hatte, dass er ein glückliches und zufriedenes Leben haben werde, wenn er alle guten Gaben Gottes, die ihm La Griva lieferte, fruchtbringend anlegte: »Und du wirst gut daran tun, nicht zu vergessen, dich mit gepökeltem Fleisch vom Rind, vom Schaf oder Hammel, vom Kalb und vom Schwein einzudecken, denn es hält lange vor und ist von großem Nutzen. Schneide das Fleisch in nicht zu große Stücke, leg sie in eine Schüsselmit einer dicken Schicht Salz darüber, lass sie acht Tage stehen, dann häng sie an die Küchenbalken neben dem Kamin, damit sie im Rauch dörren, und mach's in der kalten und trockenen Jahreszeit, wenn die Tramontana weht, nach dem Martinstag, dann halten sie so lang, wie du willst. Im September kommen die Vögel dran und die Lämmer während des ganzen Winters, dazu die Kapaune, die alten Hühner, die Enten und so weiter. Verschmähe auch nicht den Esel, der sich ein Bein gebrochen hat, denn daraus macht man runde Würstchen, die du dir mit dem Messer aufschneiden und braten kannst, das ist was besonders Feines. Und achte darauf, dass es zur Fastenzeit immer Pilze und Suppenkraut gibt, Nüsse, Weintrauben, Äpfel und alles andere, was dir der Herrgott schickt. Und gleichfalls zur Fastenzeit müssen Schwarzwurzeln und gelbe Rüben bereitgehalten werden und Kräuter, die in Mehl gewälzt und in Öl gebraten besser als eine Lamprete sind; und mach dir auch Ravioli oder Fastenklößchen, misch einen Teig aus Mehl und Öl, Rosenwasser, Safran und Zucker und einem Schuss Malvasier, walze ihn aus, schneid ihn in runde Stücke, fülle sie mit geriebenem Brot, Honig, Nelkenblüten und zerstampften Nüssen, schieb sie mit etwas Salz in den Ofen, und du
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