Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
dessen, was später geschah.
Ich denke, dass der alte Pozzo aus Eigensinn gestorben ist, was mir großartig scheint, aber Roberto konnte nichts Schätzenswertes daran finden. Alle lobten das Heldentum seines Vaters, er hätte die Trauer mit Stolz tragen sollen, aber er schluchzte. Als ihm einfiel, dass der Vater immer gesagt hatte, ein Edelmann müsse sich daran gewöhnen, widrige Schicksalsschläge trockenen Auges zu ertragen, entschuldigte er sich für die Schwäche (vor seinem Erzeuger, der ihn nicht mehr zur Rechenschaft ziehen konnte) und sagte sich wiederholt, dass er ja schließlich zum ersten Mal Waise geworden war. Er meinte, sich an die Vorstellung gewöhnen zu müssen, und hatte noch nicht begriffen, dass es unnütz ist, sich an den Verlust eines Vaters zu gewöhnen, denn das passiert einem kein zweites Mal – man kann die Wunde daher auch ebenso gut offenlassen.
Um aber dem Geschehenen einen Sinn zu geben, konnte er nur ein weiteres Mal auf Ferrante zurückgreifen. Ferrante, der ihm auf den Fersen gefolgt war, hatte dem Feind dieGeheimnisse, die er in Erfahrung gebracht hatte, verkauft und war dann schamlos zum Feind übergelaufen, um den Lohn seines Verrats zu genießen: Der Vater, der das begriffen hatte, wollte in jenem Moment die befleckte Familienehre reinwaschen und den Glanz seines Mutes auf Roberto zurückstrahlen lassen, um ihn von jenem Schatten eines Verdachts zu befreien, der sich um ein Haar auf den Unschuldigen gelegt hätte. Damit also sein Tod nicht unnütz war, schuldete ihm Roberto das Benehmen, das alle in Casale vom Sohn des Helden erwarteten.
Er konnte nichts daran ändern: Er war nun der rechtmäßige Herr von La Griva, Erbe des Namens und der Familiengüter. Toiras wagte nicht mehr, ihn für kleine Aufträge zu verwenden – und zu den großen konnte er ihn nicht heranziehen. So fand sich Roberto, allein gelassen in seiner neuen Rolle als illustre Waise, nun noch mehr allein gelassen, sogar ohne den Trost des tätigen Handelns. Mitten in einer Belagerung, aller Pflichten entbunden, quälte er sich mit der Frage, wie er seine Tage als Belagerter verbringen sollte.
8
DIE KURIOSE LEHRE
DER SCHÖNGEISTER JENER ZEIT
D en Strom der Erinnerungen für einen Moment unterbrechend, machte Roberto sich klar, dass er sich den Tod des Vaters nicht deshalb vergegenwärtigt hatte, weil er pietätvoll jene Philoktetswunde offenhalten wollte, sondern weil er sich das Gespenst Ferrantes in Erinnerung gerufen hatte, das seinerseits vom Gespenst des Eindringlings auf der Daphne evoziert worden war. Die beiden erschienen ihm mittlerweile so sehr wie Zwillinge, dass er beschloss, den schwächeren zu beseitigen, um mit dem stärkeren fertig zu werden.
War es nicht schließlich, sagte er sich, in jenen Tagen der Belagerung gewesen, dass ich noch Ferrantes Witterung hatte? Nein, im Gegenteil, denn was geschah dann? Dass mich Saint-Savin von seiner Inexistenz überzeugte.
Roberto hatte sich nämlich mit Herrn de Saint-Savin angefreundet. Er hatte ihn beim Begräbnis wiedergesehen und eine sehr herzliche Beileidsbekundung von ihm erhalten. In nüchternem Zustand war Saint-Savin ein vollendeter Edelmann. Klein von Statur, nervös, leichtfüßig, das Gesicht gezeichnet, vermutlich von den Pariser Ausschweifungen, von denen er erzählte, mochte er kaum dreißig sein.
Er hatte sich für seine Zügellosigkeit an jenem Abend entschuldigt, nicht für das, was er gesagt hatte, aber für die ungehobelte Art, wie er es gesagt hatte. Dann hatte er Roberto gebeten, ihm von Signor Pozzo zu erzählen, und Roberto war ihm dankbar für das zumindest vorgetäuschte Interesse. Er erzählte, wie ihm sein Vater das Fechten beigebracht hatte, Saint-Savin stellte einige Fragen, begeisterte sich bei der Erwähnung eines bestimmten Stoßes, zog seinen Degen und wollte auf der Stelle, mitten auf einer Piazza, dass Roberto ihm den Stoß zeigte. Aber entweder kannte er ihn schon,oder er war sehr flink, denn er parierte ihn gewandt, anerkannte jedoch, dass es sich um eine Raffinesse der Hohen Schule handelte.
Zum Dank zeigte er Roberto eine von seinen Spezialitäten. Er ließ ihn Aufstellung nehmen, sie tauschten einige Finten, er wartete auf den ersten Angriff, schien plötzlich auszurutschen und nach hinten zu fallen, und während Roberto verblüfft den Degen sinken ließ, war er wie durch ein Wunder schon wieder auf den Beinen und trennte ihm einen Knopf vom Rock – als Beweis, dass er ihn auch hätte verletzen
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