Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
französischen Truppen zur Bastion San Giorgio ausrückten. Dabei schien der Junge sogar zu meinen, dass ihm die restlichen drei Pistolen jetzt zustünden, ohne recht zu begreifen, mit wem er sprach, so als müsse Toiras sich über seine Dienste freuen. Dann sah er plötzlich Roberto und rief, der sei der Hauptmann Gambero gewesen.
Roberto erstarrte, der alte Pozzo stürzte sich auf den Verleumder und hätte ihn wohl erwürgt, wenn ihm nicht einige Herren aus Toiras’ Gefolge in den Arm gefallen wären. Toiras selbst erinnerte sofort daran, dass Roberto die ganze Nacht bei ihm gewesen war und dass ihn, so gut er auch aussehen mochte, gewiss niemand für einen Capitano hätte halten können. Unterdessen hatten andere geklärt, dass ein Capitano Gambero wirklich existierte, nämlich im Regiment Bassiani, und brachten ihn mit Stößen und flachen Klingenhieben vor Toiras. Der Mann beteuerte seine Unschuld, und tatsächlich erkannte ihn der gefangene Junge nicht, aber Toiras ließ ihn sicherheitshalber einsperren. Um das Chaosvollzumachen, kam jemand gelaufen und meldete, dass, als die Truppe La Granges den Rückzug angetreten habe, jemand aus der Bastion San Giorgio zu den spanischen Linien übergelaufen und dort mit Freude empfangen worden sei. Er konnte nicht viel über ihn sagen, nur dass er jung und nach spanischer Sitte gekleidet gewesen sei, mit einem Netz überm Haar. Roberto dachte sofort an Ferrante. Doch was ihn noch stärker beeindruckte, war die argwöhnische Miene, mit der die französischen Offiziere nun auf die Italiener in Toiras' Gefolge blickten.
»Genügt eine kleine Kanaille, um ein Heer aufzuhalten?«, hörte er seinen Vater rufen, der auf die zurückkehrenden Franzosen wies. »Entschuldigt, lieber Freund«, wandte sich Pozzo dann an Toiras, »aber hier herrscht anscheinend die Vorstellung, dass wir Hiesigen alle ein bisschen wie dieser Krebs von Gambero wären, habe ich recht?« Und als ihn Toiras daraufhin seiner Wertschätzung und Freundschaft versicherte, aber mit zerstreuter Miene, unterbrach ihn der alte Pozzo: »Lasst nur. Mir scheint, hier machen sich alle ins Hemde, mir reicht das Geschiss hier allmählich. Ich hab dieses Geschmeiß von Spaniern satt, und mit Eurer Erlaubnis geh ich jetzo zwei oder drei von ihnen erledigen, nur dass man sieht, dass wir die Galliarde zu tanzen verstehn, wenn's nötig ist, und wenn's uns erst mal richtig dreht, schaun wir keinem mehr ins Gesicht. Mordius!«
Er preschte zum Tor hinaus und ritt wie eine Furie mit gezücktem Degen auf die feindlichen Reihen los. Natürlich wollte er sie nicht in die Flucht schlagen, aber es schien ihm geboten, dem eigenen Kopf zu folgen, nur um's den anderen einmal zu zeigen.
Als Mutprobe war es gut, als militärisches Unternehmen katastrophal. Eine Kugel traf ihn mitten in die Stirn und warf ihn rücklings auf die Kruppe seines Pagnufli. Eine zweite Salve ging zur Kontreskarpe, und Roberto spürte einen jähen Schmerz an der Schläfe, wie von einem Stein, so dass er ins Taumeln geriet. Er hatte einen Streifschuss abbekommen, doch er wand sich aus den Armen der Helfer, richtete sich auf und rief den Namen seines Vaters, dann sah er Pagnufli verstört mit dem leblosen Leib seines Herrn in ein Niemandsland galoppieren.
Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß erneut seinen Pfiff aus. Pagnufli hörte es und kam zurück, aber langsam, in einem feierlichen kleinen Trab, um nicht seinen Reiter aus dem Sattel zu werfen, der ihm jetzt nicht mehr gebieterisch die Schenkel in die Seiten drückte. Er kam herangetrabt, wieherte leise seine Pavane für den verstorbenen Herrn und übergab den Leichnam an Roberto, der die noch aufgerissenen Augen schloss und das inzwischen geronnene Blut vom Gesicht des Toten wischte, während ihm selbst das noch warme Blut die Wange hinunterlief.
Wer weiß, ob der Schuss nicht doch einen Nerv bei ihm getroffen hatte: Als er am folgenden Tag aus der Kathedrale Sant' Evasio trat, in der Toiras die Totenmesse für den Signor Pozzo di San Patrizio della Griva hatte zelebrieren lassen, konnte er das Sonnenlicht kaum ertragen. Vielleicht waren seine Augen vom Weinen gerötet, Tatsache ist, dass sie ihn seit damals schmerzten. Heute würden die Erforscher der Psyche sagen, er habe, als sein Vater in den Schatten getreten war, ebenfalls in den Schatten treten wollen. Roberto verstand nicht viel von der Psyche, aber diese Redefigur hätte ihn reizen können, jedenfalls im Licht – oder im Schatten –
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