Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
... Signora ...«
»Noch mal?«
»Ja, noch mal: Signora, eine Dame, schön wie Alcidiane, bedurfte ohne Zweifel, gleich jener Heroine, einer uneinnehmbaren Bleibe. Mir scheint, Ihr seid durch Zauber an einen andern Ort versetzt worden, und Euer Reich hat sich in eine zweite Schwimmende Insel verwandelt, die der Wind meiner Seufzer vor mir zurückweichen lässt, je näher ich ihr zu kommen versuche, ein Reich bei den Antipoden, ein Land, das zu betreten uns Eisberge hindern ... Ich sehe Euch ratlos, La Grive: ist Euch das noch zu mittelmäßig?«
»Nein, es ist ... ich würde das Gegenteil sagen.«
»Habt keine Angst«, sagte Saint-Savin ihn missverstehend, »es wird nicht an kontrapunktischem Gegenteil fehlen. Fahren wir fort: Vielleicht geben Eure Liebreize Euch ja das Recht, in der Ferne zu bleiben, wie es sich für Götter geziemt. Doch wisst Ihr nicht, dass die Götter zumindest den Rauch der Brandopfer, die wir ihnen hienieden darbringen, huldvoll entgegennehmen? Also weist meine Anbetung nicht zurück; denn da Ihr Schönheit und Glanz in höchstem Grade besitzet, würdet Ihr mich zur Gottlosigkeit verurteilen, wenn Ihr mich hindertet, in Eurer Person zwei der erhabensten Attribute Gottes zu verehren ... Klingt es so besser?«
Inzwischen dachte Roberto, dass die einzige Frage nur noch war, ob die Empfängerin lesen konnte. Einmal über diese Schwelle hinausgelangt, würde sie sich an jedem weiteren Wort, das sie läse, gewiss so berauschen, wie er sich beim Schreiben daran berauschte.
»Mein Gott«, sagte er, »den Verstand müsste sie verlieren.«
»Sie wird ihn verlieren. Schreibt: Weit entfernt, mein Herz verloren zu haben, als ich Euch meine Freiheit darbrachte, finde ich es im Gegenteil seit jenem Tage vergrößert, ja derart vervielfacht, dass es, als würde mir eines allein nicht genügen, um Euch zu lieben, sich allenthalben in mir wiederholt und ich es in jeder meiner Adern klopfen höre.«
»O Gott ...«
»Bleibt ruhig. Ihr seid dabei, über die Liebe zu reden, nicht zu lieben. Weiter: Verzeiht, Signora, den Furor eines Verzweifelten, oder besser noch, beachtet ihn gar nicht. Nie hat man gehört, dass Herrscher vom Tod ihrer Sklaven Notiz nehmen mussten. Ja, ich muss mein Schicksal als beneidenswert erachten, dafür dass Ihr Euch überhaupt die Mühe gemacht, meinen Ruin zu verursachen. Geruht Ihr mich wenigstens zu hassen, so wird mir das sagen, dass ich Euch nicht gleichgültig bin. Und so wird mir der Tod, mit dem Ihr mich zu strafen glaubt, ein Grund zur Freude sein. Jawohl, der Tod: Wenn Liebe heißt, zu begreifen, dass zwei Seelen dazu geschaffen sind, eins zu werden, so bleibt der einen, wenn sie sich gewahr wird, dass die andere nichts empfindet, nur noch zu sterben. Dies ist es, was – indes ich noch lebe und um ein weniges auch mein Körper – meine Seele, sich von ihm ablösend, Euch kundtut.«
»– von ihm ablösend Euch – ?«
»Kundtut.«
»Lasst mich Atem holen. Mir schwirrt der Kopf ...«
»Ruhig Blut. Verwechselt die Liebe nicht mit der Kunst.«
»Aber ich liebe sie doch! Ich liebe sie!«
»Ich nicht. Deshalb habt Ihr Euch mir anvertraut. Denkt nicht an sie, wenn Ihr schreibt. Denkt meinetwegen an Herrn de Toiras ...«
»Ich bitte Euch!«
»Macht nicht so ein Gesicht. Er ist doch ein stattlicher Mann. Aber jetzt schreibt: Signora ...«
»Noch einmal?«
»Noch einmal. Signora, darüber hinaus bin ich verurteilt, blind zu sterben. Habt Ihr nicht aus meinen Augen zwei Brennkolben gemacht, um mein Leben darin zu verbrennen? Und wie kömmt es, dass ich umso mehr brenne, je mehrmeine Augen sich netzen? Vielleicht hat mein Vater mich nicht aus dem gleichen Lehm geformt, aus dem er den ersten Menschen erschuf, sondern aus Kalk, da mich das Wasser, das ich verströme, verzehrt. Und wie kömmt es, dass ich, wiewohl verzehrt, dennoch weiterlebe und neue Tränen finde, um mich erneut zu verzehren?«
»Ist das nicht etwas übertrieben?«
»Bei großen Gelegenheiten müssen auch die Gedanken groß sein.«
Von nun an protestierte Roberto nicht mehr. Ihm war, als wäre er selbst die Adressatin geworden und empfände das, was sie beim Lesen des Briefes empfinden musste. Saint-Savin diktierte.
»Ihr habt in meinem Herzen, als Ihr es verließet, einen widerspenstigen Rest zurückgelassen, nämlich Euer Bildnis, das sich nun rühmt, Macht über mein Leben und meinen Tod zu haben. Und Ihr habt Euch von mir entfernt, wie es die Herrscher tun, die sich vom Hinrichtungsort entfernen
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