Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
aus Furcht, mit Gnadengesuchen behelligt zu werden. Wenn meine Seele und meine Liebe sich am Ende in zwei reine Seufzer auflösen, werde ich sterbend die Agonie beschwören, dass als letzter derjenige meiner Liebe aus mir entweiche, und so werde ich – als mein letztes Geschenk an Euch – das Wunder bewirkt haben, auf das Ihr stolz sein könnt, seid Ihr dann doch wenigstens für einen Augenblick noch von einem toten Körper beseufzet worden.
»... beseufzet worden. Ende?«
»Nein, lasst mich überlegen, wir brauchen noch einen Schluss, der eine Pointe enthält ...«
»Eine Puen - was?«
»Ja, einen Akt des Verstandes, der die unerhörte Entsprechung zwischen zwei Objekten auszudrücken scheint, eine Entsprechung jenseits all dessen, was wir glauben, so dass sich in diesem schönen Spiel des Geistes glücklich alle Rücksicht auf die Substanz der Dinge verliert.«
»Verstehe ich nicht.«
»Ihr werdet es schon noch verstehen. Kehren wir zunächst einmal den Sinn des Ganzen um, Ihr seid ja nicht wirklich gestorben; geben wir ihr die Möglichkeit, diesem Sterbenden zu Hilfe zu eilen. Also schreibt: Vielleichtkönntet Ihr mich ja, Signora, noch retten. Ich habe Euch mein Herz geschenkt. Doch wie kann ich leben ohne das Triebwerk meines Lebens? Ich bitte Euch nicht, es mir zurückzugeben, denn nur in Eurem Gefängnis genießt es die sublimste aller Freiheiten, aber ich bitte Euch, schickt mir dafür doch das Eure, das keinen aufnahmebereiteren Schrein finden wird. Ihr braucht nicht zwei Herzen, um zu leben, und das meine schlägt so stark für Euch, dass Ihr der ewigsten aller Gluten versichert seid.«
Und mit einer halben Drehung und einer Verbeugung wie ein Schauspieler, der Applaus erwartet: »Schön, nicht?«
»Schön? Also ich finde es ... wie soll ich sagen ... lächerlich. Seht Ihr nicht diese Signora vor Euch, wie sie in Casale hin und her läuft, um Herzen abzuholen und zu übergeben, als wäre sie ein Schildknappe?«
»Wollt Ihr, dass sie einen Mann liebt, der wie irgendein Bürger redet? Unterschreibt und siegelt.«
»Aber ich denke nicht an die Dame, ich denke, wenn sie das jemandem zeigen würde, ich müsste vor Scham in den Boden versinken.«
»Sie wird es niemandem zeigen. Sie wird den Brief im Busen tragen und jeden Abend eine Kerze auf dem Nachttisch anzünden, um ihn wiederzulesen und mit Küssen zu bedecken. Unterschreibt und siegelt.«
»Aber angenommen, nur einmal so angenommen, sie kann nicht lesen. Dann muss sie ihn sich doch von jemandem vorlesen lassen ...«
»Aber, Signor de La Grive! Wollt Ihr mir etwa sagen, Ihr hättet Euch in eine Bäuerin verliebt? Ihr hättet meine Inspiration dazu verschwendet, eine Landpomeranze in Verlegenheit zu bringen? Dann bleibt uns nur, uns zu schlagen!«
»Das war doch nur eine Annahme. Ein Scherz. Aber mir ist beigebracht worden, dass ein kluger Mann alles abwägen muss, alle Fälle und alle Umstände, und unter den möglichen auch die unmöglichen ...«
»Da seht Ihr, dass Ihr allmählich lernt, Euch gut auszudrücken. Aber Ihr habt schlecht abgewogen und habt die lächerlichste der Möglichkeiten gewählt. Jedoch, ich will Euch nicht zwingen. Also streicht ruhig den letzten Absatz und fahrt fort, wie ich Euch diktiere ...«
»Aber wenn ich etwas ausstreiche, muss ich den Brief doch neu schreiben.«
»Faul seid Ihr auch noch? Aber der kluge Mann muss die Missgeschicke zu nutzen wissen. Streicht ... Fertig? So, nun passt auf.« Er tauchte den Finger in eine Wasserkaraffe, ließ einen Tropfen auf den ausgestrichenen Absatz fallen, so dass eine kleine Pfütze entstand, die sich durch die im Wasser aufweichende Tinte langsam schwarz färbte. »Und nun schreibt: Verzeiht, Signora, wenn ich nicht den Mut hatte, einen Gedanken stehenzulassen, der mich durch seine Kühnheit dermaßen erschreckte, dass er mir eine Träne entlockt hat. So kann ein vulkanisches Feuer ein überaus süßes Bächlein aus salzigem Wasser erzeugen. Jedoch, o Signora, mein Herz ist wie jene Muschel des Meeres, die den edlen Schweiß der Morgendämmerung trinkend eine Perle erzeugt und mit ihr heranwächst. Bei dem Gedanken, dass Eure Gleichgültigkeit meinem Herzen die Perle wegnehmen will, die es so eifersüchtig genährt hat, quillt mir das Herz aus den Augen ... Jawohl, La Grive, so ist es zweifellos besser, so haben wir die Exzesse verringert. Besser, man schließt, indem man die Emphase des Liebenden etwas dämpft, um die Rührung der Geliebten ins Riesenhafte zu steigern.
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