Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Verschläge, getrennt durch eine dünne Wand, und Roberto blieb wach, um zu horchen.
    Kaum waren sie in den Pazifik gelangt, hatten sich des Doktors Gewohnheiten jedoch verändert. Nach dem Halt in Más Afuera sah ihn Roberto jeden Morgen um sieben irgendwohin verschwinden und erst um acht wiederkommen, während sie vorher um diese Zeit miteinander zu frühstücken pflegten. Während der ganzen Zeit, in der das Schiff nach Norden fuhr, bis zur Insel der Riesenschildkröten, verschwand Byrd jedoch immer schon morgens um sechs. Kaum hatte das Schiff dann von neuem westlichen Kurs eingeschlagen, verlegte er sein Aufstehen auf fünf Uhr vor, und Roberto hörte, wie einer seiner Assistenten ihn wecken kam. Dann, je weiter sie nach Westen kamen, stand er um vier, um drei, um zwei Uhr auf.
    Roberto war in der Lage, das zu kontrollieren, denn er hatte sich eine kleine Sanduhr mitgebracht. Bei Sonnenuntergang schaute er wie ein Müßiggänger im Ruderhaus vorbei, wo neben dem Kompass, der in seinem Waltran schwamm, eine kleine Tafel hing, auf welcher der Steuermann, ausgehend von den letzten Messungen, die vermutliche Position und Uhrzeit vermerkte. Roberto notierte sie sich, ging dann seine Sanduhr umdrehen und ging erneut, wenn ihm schien, dass sie bald abgelaufen sein würde. Auf diese Weise konnte er immer einigermaßen genau berechnen, wie spät es war. Und so gelangte er zu der Überzeugung, dass Byrd jeden Morgen ein bisschen früher aufstand und folglich, wenn er so weitermachte, eines schönen Tages um Mitternacht aufstehen würde.
    Nach dem, was Roberto von Mazarin und Colbert und dessen Leuten erfahren hatte, war es nicht schwer zuschließen, dass Byrds jeden Tag etwas früheres Verschwinden mit dem sukzessiven Überqueren der Meridiane zu tun haben musste. Es sah ganz danach aus, als würde jemand aus Europa, jeden Tag zur Mittagsstunde auf der westlichsten der Kanarischen Inseln oder anderswo zu einer anderen festen Stunde, ein Signal aussenden, das Byrd irgendwo auf dem Schiff empfing. Durch Vergleich mit der Ortszeit an Bord der Amarilli wäre Byrd somit in der Lage, den jeweiligen Längengrad zu bestimmen!
    Roberto brauchte ihm bloß zu folgen, wenn er verschwand. Aber das war gar nicht so leicht. Solange der Doktor in den Morgenstunden verschwand, war es nicht möglich, ihm ungesehen zu folgen. Als er dann in den Nachtstunden zu verschwinden begann, konnte Roberto zwar gut hören, wann er fortging, aber er konnte ihm nicht auf dem Fuße folgen. Er wartete also ein Weilchen und machte sich dann daran, seine Spur zu finden. Doch alle Bemühungen waren vergeblich. Ich spreche gar nicht von den vielen Malen, in denen Roberto, wenn er sich im Dunkeln vorantastete, zwischen den Hängematten der Mannschaft landete oder über schlafende Pilger stolperte; doch immer öfter stieß er auf jemanden, der um diese Zeit eigentlich hätte schlafen müssen. Es gab also immer jemanden, der wachte.
    Wenn er einem dieser Spione begegnete, murmelte er etwas über seine übliche Schlaflosigkeit und ging an Deck, wodurch es ihm gelang, keinen Verdacht zu wecken. Seit einiger Zeit hatte er sich den Ruf erworben, ein Sonderling zu sein, der nachts mit offenen Augen träumte und die Tage mit geschlossenen Augen verbrachte. Doch wenn er an Deck dem wachhabenden Matrosen begegnete, mit dem er wohl oder übel ein paar Worte wechseln musste, wenn sie sich zufällig verständigen konnten, war die Nacht für weitere Erkundungen verloren.
    Das erklärt, wieso die Monate vergingen und Roberto dem Geheimnis der Amarilli zwar dicht auf der Spur war, aber es immer noch nicht hatte finden können.
     
    Im übrigen hatte er von Anfang an versucht, Byrd irgendwelche Vertraulichkeiten zu entlocken. Und dazu hatte er sich eine Methode ausgedacht, die Mazarin ihm nicht hätteeingeben können: Scheinbar um seine Neugier zu befriedigen, stellte er dem Malteser tagsüber Fragen, die dieser nicht beantworten konnte. Dabei gab er ihm zu verstehen, dass es sich bei dem, was er ihn gefragt hatte, um etwas sehr Wichtiges handle, wenn er wirklich die Insel Escondida finden wolle. So stellte der Ritter dann abends dieselben Fragen dem Doktor.
    Eines Nachts auf dem Oberdeck betrachteten sie die Sterne, und der Doktor meinte, jetzt müsste es Mitternacht sein. Darauf sagte der Malteser, der wenige Stunden zuvor von Roberto auf diese Spur gesetzt worden war: »Wer weiß, wie spät es jetzt wohl in Malta sein mag ...«
    »Leicht zu wissen«, entfuhr es dem Doktor.

Weitere Kostenlose Bücher