Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Dann korrigierte er sich: »Das heißt, sehr schwierig, mein Freund.« Der Ritter wunderte sich, dass man es nicht aus der Berechnung der Meridiane erschließen könne: »Braucht die Sonne nicht eine Stunde, um fünfzehn Längengrade zu durchlaufen? Also braucht man doch bloß zu sagen, wie viele Längengrade wir vom Mittelmeer entfernt sind, die Zahl durch fünfzehn zu teilen, die eigene Ortszeit zu wissen, so wie wir jetzt die unsere kennen, und man weiß, wie spät es dort ist.«
»Ihr kommt mir vor wie einer von jenen Astronomen, die ihr Leben lang Karten studieren, ohne jemals zur See zu fahren. Sonst wüsstet Ihr, dass es unmöglich ist zu wissen, auf welchem Längengrad wir uns befinden.«
Byrd wiederholte mehr oder weniger, was Roberto schon wusste, nicht aber der Malteser. Und bei diesem Thema wurde der Doktor auf einmal sehr gesprächig: »Unsere Alten dachten, sie hätten eine unfehlbare Methode mit der Berechnung der Mondfinsternisse. Ihr wisst, was eine Mondfinsternis ist: ein Moment, in dem Sonne, Erde und Mond sich auf einer Linie befinden und der Schatten der Erde auf den Mond fällt. Nun lassen sich Tag und Stunde der künftigen Mondfinsternisse sehr genau voraussehen, und es genügt, die Tafeln des Regiomontanus mitzuführen; also angenommen, Ihr wisst, dass eine gegebene Mondfinsternis, die Ihr um zehn Uhr beobachtet, in Jerusalem um Mitternacht eintreten muss, so wisst Ihr, dass Euch zwei Stunden von Jerusalem trennen, dass also Euer Standpunkt dreißig Grad westlich von Jerusalem ist.«
»Perfekt«, sagte Roberto, »gelobt seien die Alten!«
»Ja schon, aber diese Berechnung funktioniert nur bis zu einem bestimmten Punkt. Der große Kolumbus hatte auf seiner zweiten Reise, als er vor Hispaniola vor Anker lag, seine Position mit Hilfe einer Mondfinsternis zu berechnen versucht und sich um dreiundzwanzig Grad geirrt, das heißt um anderthalb Stunden! Und auf seiner vierten Reise hatte er sich mit derselben Methode erneut verrechnet, diesmal sogar um zweieinhalb Stunden!«
»Hatte er sich verrechnet oder der Regiomontanus?«, fragte der Malteser.
»Schwer zu sagen. Auf einem Schiff, das sich ständig bewegt, auch wenn es vor Anker liegt, ist es immer schwierig, genaue Messungen vorzunehmen. Und Ihr wisst vielleicht, dass Kolumbus um jeden Preis beweisen wollte, er sei nach Asien gelangt, und so könnte ihn sein Wunsch verleitet haben, den Fehler zu machen, um zu beweisen, dass er viel weiter im Westen angelangt sei, als er tatsächlich war ... Oder die Sache mit den Mond-Distanzen. Darüber ist viel gesprochen worden in den letzten hundert Jahren. Die Idee hatte, wenn ich so sagen darf, einen gewissen Witz. Während eines Monats vollführt der Mond einen kompletten Umlauf von West nach Ost entgegen dem Lauf der Sterne, und so ist er wie der Zeiger einer himmlischen Uhr, der durch das Zifferblatt des Zodiaks läuft. Die Sterne bewegen sich von Ost nach West über den Himmel mit einer Geschwindigkeit von ungefähr fünfzehn Graden pro Stunde, während der Mond in der gleichen Zeit nur vierzehneinhalb Grade durchläuft. Also weicht der Mond gegenüber den Sternen um einen halben Grad ab. Nun dachten die Alten, dass der Abstand vom Mond zu einem Fixed Starre , wie man sagt, einem festen Stern in einem bestimmten Augenblick, für jeden Beobachter auf der ganzen Welt derselbe sei. Es genüge also, ihn zu kennen, wozu es die üblichen Tafeln oder Ephemerides gab, und den Himmel zu beobachten mit the Astronomers staffe, the Crosse ... «
»Dem Kreuzstab?«
»Genau, mit diesem Kreuz berechnet Ihr den Abstand des Mondes von dem betreffenden Stern zu einer gegebenen Uhrzeit des Meridians, von dem Ihr aufgebrochen seid, und Ihr wisst, dass es zur Zeit Eurer Beobachtung auf dem Meer in derund der Stadt soundso spät ist. Kennt Ihr nun den Zeitunterschied zu Eurer Ortszeit, so habt Ihr die geographische Länge gefunden. Jedoch, jedoch ...«, und Byrd machte eine Pause, um seine Zuhörer noch mehr zu fesseln, »da gibt es die Parallaxes . Das ist etwas sehr Kompliziertes, das ich Euch nicht zu erklären wage, es hängt mit der unterschiedlichen Refraktion oder Lichtbrechung der Himmelskörper auf verschiedenen Höhen über dem Horizont zusammen. Und bei den Parallaxes wäre der hier gefundene Abstand nicht derselbe, den unsere Astronomen drüben in Europa finden würden.«
Roberto erinnerte sich, von Mazarin und Colbert etwas über Parallaxen und einen Monsieur Morin gehört zu haben, der eine Methode zu
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