Die Insel Des Vorigen Tages
Christenmenschen, bei Gott! Die andern sind jetzt in Rosignano beschäftigt, wir umgehen sie im Rücken, schlupfen zwischen Rosignano und Pontestura durch und sind in drei Tagen in Casale.«
Das hatte er Ende April gesagt, tatsächlich gelangten sie dann am 24. Mai in Sichtweite von Casale. Es war, zumindest in Robertos Erinnerung, ein schöner langer Marsch gewesen, ständig mußten sie Straßen und Maultierpfade verlassen und querfeldein gehen; sei’s drum, sagte Pozzo dann, wenn Krieg ist, geht alles zum Teufel, und wenn nicht wir die Ernte zertreten, zertreten sie eben die andern. Um zu überleben, bedienten sie sich in Weinbergen, Obstgärten und Hühnerhöfen; sei’s drum, sagte Pozzo, dies Land ist monferrinisch und muß seine Verteidiger ernähren. Einem Bauern aus Mombello, der protestierte, ließ er dreißig Stockhiebe geben und sagte, wenn man nicht ein bißchen Disziplin halte, würden die andern den Krieg gewinnen.
Roberto fing an, den Krieg eine wunderschöne Erfahrung zu finden; von Wanderern hörten sie erbauliche Geschichten wie die von jenem verwundeten und in San Giorgio gefangengenommenen französischen Kavalier, der sich darüber beklagte, daß ihm von einem Soldaten das Bildnis einer heißgeliebten Person weggenommen worden war; als der Herzog von Lerma das hörte, ließ er ihm das Bildnis zurückerstatten, ließ ihn verarzten und schickte ihn mit einem Pferd zurück nach Casale.
Andererseits war es dem alten Pozzo gelungen, wenn auch auf derart verschlungenen Umwegen, daß man alle Orientierung verlor, dafür zu sorgen, daß seine Leute vom richtigen Schießkrieg noch gar nichts zu sehen bekommen hatten.
Daher empfanden sie große Erleichterung, wenn auch vermischt mit der Ungeduld dessen, der endlich an einem langerwarteten Fest teilnehmen will, als sie eines schönen Tages vom Gipfel eines Hügels aus zu ihren Füßen die Stadt liegen sahen: im Norden, zu ihrer Linken, begrenzt durch den breiten Streifen des Po, der genau vor dem Kastell durch zwei große Inseln im Strom unterbrochen war und im Osten spitz zulaufend hinter dem Massiv der Zitadelle verschwand. Gespickt mit Türmen und Campanilen im Innern, schien die Stadt von außen wahrhaft uneinnehmbar, ringsum bewehrt mit zickzackförmigen Bastionen, so daß sie aussah wie einer von jenen Drachen, die man in Büchern sieht.
Es war wirklich ein schönes großes Spektakel. Draußen vor der Stadt schleppten Soldaten in bunten Röcken allerlei Belagerungsmaschinen zwischen Gruppen von standartengeschmückten Zelten und Reitern mit prächtig gefiederten Hüten umher. Da und dort sah man zwischen dem Grün der Wälder und dem Gelb der Felder etwas schimmern und blitzen, daß es die Augen blendete, und es waren Edelleute in silbernen Rüstungen, die in der Sonne funkelten, und man verstand nicht, wohin sie ritten, womöglich ritten sie nur umher, um sich in Szene zu setzen.
Schön für alle, erschien das Spektakel jedoch dem alten Pozzo weniger fröhlich, denn er sprach: »Leute, diesmal sind wir wirklich im Arsche!« Und zu Roberto, der ihn verwundert fragte, wieso, sagte er mit einem Klaps in den Nacken: »Spiel nicht den Dummen, das da sind Kaiserliche, wirst doch nicht glauben, daß die Casaler so viele sind und sich so munter draußen vor ihren Mauern tummeln. Die Casaler und die Franzosen sind drinnen, wo sie Strohballen aufschichten und sich vor Angst in die Hose machen, weil sie nicht mal zweitausend an der Zahl sind, während die da unten mindestens hunderttausend sein dürften, schau bloß mal auf die Hügel dort drüben.« Er übertrieb, das Heer der Spanier umfaßte nur achtzehntausend Fußsoldaten und sechstausend Reiter, aber das genügte, und sie rückten vor.
»Was machen wir jetzt, Vater?« fragte Roberto. »Jetzt machen wir«, sagte der Vater, »daß wir achtgeben, wo die Lutheraner sind, denn bei denen kommen wir nicht durch. Erstens, weil wir kein Wort von dem verstehn, was sie sagen, und zweitens, weil sie dich erst umbringen und dann fragen, wer du bist. Achtet gut drauf, wo die Spanier stehen. Ihr habt’s ja gehört, das sind Leute, mit denen man reden kann. Und achtet drauf, daß es Spanier aus guten Familien sind. Bei diesen Dingen kömmt alles auf die Erziehung an.«
Sie erspähten einen Durchgang neben einem Lager mit dem Feldzeichen Ihrer Allerchristlichsten Majestäten, wo mehr silberne Rüstungen als anderswo schimmerten, empfahlen sich Gott und ritten hinunter. Im allgemeinen Durcheinander gelang es
Weitere Kostenlose Bücher