Die Insel Des Vorigen Tages
waren. Er selbst aber nicht, denn er dachte ja, also war er.
Nach einer Welle erhob sich der andere (aber welcher?), doch anscheinend war der Böse Geist im Begriff, ihm die ganze Welt in einen Traum zu verwandeln, denn jetzt war dieser andere nicht mehr er selbst, sondern Pater Caspar. »Ihr seid wieder da!« rief Roberto mit schwacher Stimme und streckte ihm die Hände entgegen. Doch der andere gab keine Antwort und rührte sich nicht, sondern sah ihn nur unverwandt an. Es war zweifellos Pater Caspar, doch er wirkte, als hätte das Meer ihn - bevor es ihn wieder hergab - gewaschen und verjüngt. Der Bart gepflegt, das Gesicht rund und rosig wie das von Pater Emanuele, das Habit ohne Risse und Flecken. Sodann, immer noch ohne sich zu bewegen, deklamierend wie ein Schauspieler und in einer makellos artikulierten Sprache, sagte er mit düsterem Lächeln: »Es ist zwecklos, daß du dich wehrst. Die ganze Welt hat nur noch ein einziges Ziel, und das ist die Hölle.«
Und mit lauter Stimme sprach er weiter, als predigte er von einer Kanzel herab: »Jawohl, die Hölle, von der ihr wenig wißt, du und alle, die ihr dorthin unterwegs seid, leichten Fußes und verblendeten Sinnes!
Ihr glaubtet, in der Hölle würden euch Schwerter, Spieße, Räder, Rasiermesser erwarten? Ströme von Schwefel, von flüssigem Blei oder eisigem Wasser, Kessel voll kochenden Öls, Bratroste, Sägen, Prügel, Pfrieme zum Augenausstechen, Zangen zum Zähneziehen, Kämme zum Flankenzerfleischen, Ketten zum Knochenzermalmen, reißende Bestien, stechende Dornen, würgende Schlingen, Kreuze, Folterbänke, Fleischerhaken und Henkerbeile? Nein! Das alles sind gewiß grausame Marterwerkzeuge, aber solche, die sich der menschliche Geist noch auszudenken vermag, haben wir uns doch auch die bronzenen Stiere, die eisernen Stühle und das Durchbohren der Fingernägel mit spitzen Rohren ausgedacht ... Ihr hofftet, die Hölle sei ein Korallenriff voller Steinfische. Nein, die Strafen der Hölle sind anderer Art, denn sie kommen nicht aus unserem begrenzten Geist, sondern aus dem unendlichen Geist eines zürnenden und rächenden Gottes, der sich genötigt sieht, seinen Zorn zu zeigen und offenbar zu machen, daß, so groß sein Erbarmen war, so gewaltig auch seine strafende Gerechtigkeit sein wird! Die Strafen werden so schrecklich sein, daß wir an ihnen den Unterschied zwischen unserer Ohnmacht und Seiner Allmacht erkennen!
In dieser Welt«, fuhr der Bußprediger fort, »seid ihr gewohnt zu sehen, daß sich für jedes Übel ein Heilmittel findet, daß es keine Wunde gibt ohne ihren Balsam und kein Gift ohne Gegengift. Aber glaubt nicht, daß es auch in der Hölle so sei. Zwar sind die Verbrennungen dort wahrhaft fürchterlich, aber es gibt keine Linderung, die sie erträglich macht; der Durst ist brennend, aber es gibt kein Wasser, ihn zu löschen; der Hunger ist nagend, aber es gibt keine Speise, ihn zu stillen; die Scham ist unerträglich, aber es gibt kein Tuch, die Blöße zu bedecken. Gäbe es dort doch wenigstens einen Tod, der all diesen Qualen ein Ende setzte, einen Tod, einen Tod! Aber dies ist das Allerschlimmste, daß ihr dort nicht einmal auf diese Gnade hoffen könnt, sei sie auch ebenso schmerzlich wie die der Vernichtung! Ihr werdet den Tod in allen Formen suchen, ihr werdet ihn suchen und nie das Glück haben, ihn zu finden.
Tod, Tod, wo bist du, werdet ihr immerfort rufen, welcher Dämon wird so gnädig sein, ihn uns zu geben? Und so werdet ihr begreifen, daß man dort niemals aufhört zu leiden!«
An dieser Stelle machte der Alte eine Pause, hob die Hände zum Himmel und raunte etwas, als verriete er ein schreckliches Geheimnis, das niemals das Schiff verlassen durfte. »Niemals aufhören zu leiden?
Soll das heißen, daß wir leiden werden, bis ein Zeisig, der jedes Jahr nur ein Tröpfchen tränke, alle Meere ausgetrunken hätte? Noch länger. In saecula . Werden wir leiden, bis eine Blattlaus, die jedes Jahr nur einen Biß machte, alle Wälder vertilgt hätte? Noch länger. In saecula . Werden wir leiden, bis eine Ameise, die jedes Jahr nur einen Schritt täte, die ganze Erde umrundet hätte? Noch länger. In saecula . Und wenn dieses ganze Universum eine einzige große Sandwüste wäre, und jedes Jahrhundert würde nur ein Körnchen weggenommen, würden wir zu leiden aufhören, wenn das Universum ausgeschöpft wäre? Nicht einmal dann. In saecula . Stellen wir uns einen Verdammten vor, der nach Millionen Jahrhunderten nur zwei Tränen
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