Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans
unserer Sonnenkönige, die ihr eigenes Licht verbreiten wollen, Abstände souverän bestimmen; die der Natur, die sie offen vergewaltigen und heimlich vergöttern, ihre Hierarchie oktroyieren. Das Licht des Prometheus war ein Diebesgut, und der Räuber endet an seinen Felsen geschmiedet. Die westliche Architektur hat etwas Luziferisches, die Kehrseite ihrer Utopie ist die Verdammnis, die Piranesischen Kerker. Ihr Ethos ist nie vom Pathos zu trennen, denn sie fühlt – leidend – sehr wohl, was sie in ihren Entwürfen immer ausschließt, zwangsläufig unterdrückt. Die imposanten Denkmäler abendländischer Architektur sind, wie der Petersdom, über einem Grab errichtet. Und heute klingt der Lärm der Maschinen, die das Kolonisationswerk des Planeten selbstmörderisch fortsetzen, in empfindlichen Ohren längst wie die Schaufeln der Lemuren am Ende von Faust II, die den Genius der westlichen Zivilisation unter seinen Errungenschaften begraben.
Man kann eine Gleichung zu lösen versuchen, auch mit Gewalt; man kann sie aber auch – sagt die Chaosforschung – iterieren, wiederholen, mit einem Zusatzfaktor X, den ich hier – stark verkürzt – die Unberechenbarkeit des Lebens nenne. Es ist auch der japanische Faktor; denn die Japaner sind seit Jahrhunderten Meister darin, die westliche Moderne zu iterieren. Und dabei geschieht etwas, was man an Andos Bauten studieren kann: Le Corbusier plus diesen Faktor X ist kein Le Corbusier mit einer Konstruktionslücke; denn aus dieser Lücke springt ganz neues Licht. Aber auch die eigene japanische Tradition ist, mit dem Faktor X versetzt, flexibel geworden; aus dem Shoji können Glasbausteine werden, aus der Lehm- oder Holzwand sensibler Beton, aus dem traditionellen Garten ein einziger Baum oder auch nur: der Wipfel eines Baumes, der den geschlossensten Raum lüftet, aufhebt. Das westliche Baumaterial tritt aus dem Zustand der Behauptung über in einen Zustand von Beziehungsfähigkeit. Der Faktor X spielt; spielend entlockt er dem sogenannten Chaos einen unerhörten Reichtum an Mustern.
Hier und heute weiß ich für den Faktor X einen Namen: Tadao Ando. Er ist nicht nur ein großer individueller Architekt, es ist an ihm etwas vom Genie Japans, das zugleich unverwechselbar und überpersönlich ist. Darin versteckt sich, glaube ich, keine neue Utopie, sondern ein unverhoffter Raumgewinn inmitten unserer verbauten Zivilisation.
Statt zwei Geschichten habe ich nun fast so etwas wie eine abgekürzte und doch viel zu lange Kulturgeschichte erzählt. Halten Sie dem Berufslaien seine Fachsimpelei zugute. Wäre er Sportphilosoph, er hätte es vielleicht treffender haben können. Er hätte von Tadao Ando dem Boxer geredet: Boxen hat, glaube ich, wenig mit Angriff und Verteidigung zu tun. Es ist die Kunst, mit Zwischenräumen treffsicher und mit jener Art Körpereinsatz umzugehen, bei welcher der Körper sich selbst vergißt. Solange ich schlage, boxe ich mit Verlust; wo Es durch mich schlägt, ich könnte auch sagen: wo ich mich selbst vollkommen getroffen habe, fällt der Gegenspieler gewissermaßen zwanglos hinterher.
Ando, der Architekt, hat das Männchen mit seinem erhobenen linken Arm auf die Matte gelegt. Sie braucht natürlich nicht mehr aus Reisstroh zu sein. Da sitzt er nun, der Modulor Mann, und lacht. Er wußte nicht, daß er dahin wollte; nun staunt er bloß, wie gut und richtig er sitzt. Seinen Arm darf er sinken lassen.
Wie haben Sie das gemacht? fragt das Männchen.
Sie haben das gemacht, sagt Ando und setzt sich zu ihm, ich hätte das nie geschafft ohne Sie.
Nun lachen sie beide.
Das ist natürlich kein Ende meiner Geschichte: aber hier höre ich auf, mit freundlichem Dank für Ihre Geduld.
Zeichenverscbiebung
Eine Fluchtbewegung zu Kurosawa
Soweit die Unverträglichkeit von Hund und Katze keine Legende ist, führt die Verhaltensforschung sie darauf zurück, daß die scheinbar gleichen Zeichen konträr besetzt sind. Das Schnurren der Katze muß der Hund als Drohgeste mißverstehen; sie wiederum liest sein Schwanzwedeln als Ausdruck äußersten Mißbehagens.
2
Eine Episode aus Kurosawas Dodeskaden: Eine Frau kehrt nach einem »Fehltritt« zu ihrem erblindeten Mann zurück. Die Sorgfalt, mit der sie gekleidet ist, wirkt irreal in der Trümmerlandschaft des Films. Sie betritt die Hütte des Verlassenen wie eine vornehme Besucherin. Er hat im Traum nach ihr geschrien; jetzt rührt er sich nicht, fährt fort, Tücher in
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