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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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das Haff, das Meer und unseren jämmerlichen Unterschlupf, der wirkte, als sei er im Epizentrum einer Explosion zufällig heilgeblieben …
    Doch wir brauchten uns nur umzudrehen – und es lag der Raum der Tundra vor unseren Augen. Wie die Draperie einer Theaterdekoration entrollte er sich vor unseren Augen in weichen rhythmischen Falten von feinstnuanciert aufeinander abgestimmten Grüntönen, die Illusion eines endlosen Fernblicks erzeugend. In seiner ruhigen Größe glich er einer fantastischen Fuge, die jeden Augenblick in wundersamen Tönen erklingen kann. Die aber noch nicht auf klingt, sondern sich erst aufschwingt, Musik zu werden. Als wäre sie in der feierlichen Stille erstarrt, die dem ersten Akkord vorausgeht …
    Von diesem Hügel aus hat der legendäre Jäger Chabtschikal gewiss mehr als einmal auf die Welt geschaut. Und ebenhier, auf diesem Hügel, erklang das an Christus gerichtete Gebet nach der Ankunft jener, denen die hortlosen Gestade Kolgujews zum Bild für die biblische Wüste wurden, zur Einfassung ihres Glaubens, der sämtliche Entbehrungen aushalten heißt. Denn diese Insel hier ist mit einem der tiefsten Rätsel der russischen Geschichte verbunden: dem Rätsel des Raskol.
    Nach kurzem Suchen fanden wir das steinerne Fundament des großen Holzkreuzes, das die Altgläubigen hier einst aufgerichtet hatten. Die Steine waren moosüberwachsen, und vom Holz war nichts mehr übrig als ein paar verfaulte, krümelig und trocken gewordene Stückchen. Aber wie sollte man sich angesichts dieser von der Zeit zusammengebackenen Steine nicht an den merkwürdigen und in seiner bedrohlichen Unlösbarkeit bis heute erschreckenden Zwist erinnern, der ein Volk, das russische, das sich zu dem einen, rechten Glauben bekannte, in zwei Lager spaltete, die in ihrem Bekenntnis zu derselben Kirche doch einander zutiefst unversöhnlich gegenüberstanden? Worum ging es? Um kultische Einzelheiten, »nach altem Ritus« oder »nach neuem«? Aber nein, es kann nicht sein, dass irgendwelche rein formalen liturgischen Eigenheiten Hunderttausende Menschen in den Wald, die Einsiedelei, auf weite Wanderschaft, und die überspanntesten unter ihnen bis zum Aufstand im Solowezki-Kloster, ja zur Selbstverbrennung trieben! Nein, dieser ganze Widerstandsgeist gegen die Nikonschen »Neuerungen« in der Orthodoxie ist selbstverständlich Ausdruck einer unversöhnlichen Differenz in allerwesentlichsten Fragen, ist die Artikulation sehr tiefer Empfindungen. Im Altgläubigentum floss allzu viel zusammen: die Suche nach dem Reich Gottes, das »in uns ist«, die Forderung nach
Heiligkeit,
dem praktischen, täglich von allen verkörperten uralten Frömmigkeitsideal, wie es sich im Lebenjesu Christi des Retters, im Leben der Apostel und der frühen Asketen, der Einsiedler, Anachoreten, Säulenheiligen, geoffenbart hat, ein Leben bar jedes Zugeständnisses an »die Unbill des Tages«, die Eitelkeiten dieser Welt und der Politik …
    Rosanow hat es verblüffend genau formuliert: »… zu der Zeit, als die Kirche nach
Regeln
der Erlösung sucht, sucht der Raskol nach einem
Typus
der Erlösung. Die Kirche analysiert, reflektiert, studiert; … als Mittel der Erlösung bietet sie das Fasten, das Gebet, die kanonisch richtigen und zudem kritisch durchgesehenen, genauestens redigierten Bücher an. Der Raskol, dieser ›rohe‹ Raskol, mit dem wir nicht selten den höchsten Grad an ›Unbildung‹ verbinden, handelt nach Gesetzen künstlerischer Anschauung … Die Raskolniki trennen die Heiligkeit nicht vom heiligen Menschen; sie nehmen von seinen kostbaren Reliquien, genauer: von seiner ganzen lebendigen Persönlichkeit gleichsam eine Maske ab und streben danach, sich, ihre Seele, ihr Handeln in die so gewonnene Form zu gießen. Ein
Typikon
der Erlösung – das ist das Geheimnis des Raskol, der Nerv seines Lebens, sein qualvolles Dürsten – im Unterschied zur summa regulorum, die unsere und im Übrigen jede Kirche leitet. Das Altgläubigentum ist erfüllt von Lebendigem, Individuellem, Künstlerischem; es ist erfüllt vom
Bild
des heiligen Alexius von Edessa, nicht von Erwägungen, wie er, dieser ›Mann Gottes‹, sich benommen hat und dank welcher Mittel und Wege er zur Erlösung gelangte; der Kern altgläubigen Empfindens ist Begeisterung, Ergötzen, es ist gleichsam vom Auge her motiviert und absolut nicht theoretisch abgeleitet. Daher auch seine dermaßen ›borniert‹ erscheinende Sorge in Bezug auf Einzelheiten; … die Sorge, das
Bild
des

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