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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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Küste mit fremden, dunklen Abgesandten lieferten und verloren …
    Kannst du dir ein von den Göttern verlassenes Land vorstellen? Nein, es ist keine Wüste, deren Sand glutrot von Hitze flammt wie ein gigantischer Sonnenaltar, während der blaue Schatten einer Eidechse sich auf diesem feuerspeienden Blech abbildet und du begreifst, dass Er zugegen ist. Auch die Polargebiete offenbaren Ihn in der Herrlichkeit des winterlichen Himmelslichts. Die Götter verlassen nur jene Flecken, die der Mensch ihnen zum Trotz verhöhnt hat, weil sein Herz verdorrt ist wie eine verhutzelte Birne, weil er die Freude verlernt hat und allem gegenüber gleichgültig geworden ist …
    Das Einzige, was ich an diesem Ort der Verdammnis fotografiert habe, war ein Seeschwalbenjunges, schon recht groß, aber noch nicht flügge, daunig und gänzlich hilflos. Es hatte hinter einem zerfetzten rostigen Eisenstück vor dem Wind Schutz gesucht. Vielleicht hat Gott sich ja in diesem Vogeljungen geoffenbart. Denn rebelliert die Vernunft, so wiederersteht Er in der stummen Kreatur, in der Anordnung der Wolken am Himmel, im Glitzern des vom Menschen noch nicht verdreckten weiten Meers …
    Aber dieser Ort hier, an dem wir sitzen, starr vor Entsetzen über das Geschehene, er erschien doch einst Menschen als das gelobte Land, wohin sie, gehorsam Seinem Ruf folgend, sich wandten, um ewigen Frieden zu finden?
    Klettert man in dem Raum neben unserer Schlaf kammer aus dem herausgenommenen Fenster (was wir tun, um uns nicht durch den dunklen, mit Nägeln gespickten Korridor tasten zu müssen), so eröffnet sich einem – neben Gebäuderuinen, Spänen, Scherben, Alteisen sowie einem Zelt aus Brettern und Burukrytie mit Feuerstelle, die wir im Ufersand eingerichtet haben, um nicht aus Versehen alles ringsum in Brand zu stecken – noch eine Landschaft. Als Erstes erblickt man die Kriwaja, die in ein Haff mündet, und, auf der anderen Seite des Haffs, die Barre, die es von der offenen See trennt und deren Gatt im Moment von allem versperrt ist, was das Meer so anschwemmt, Treibholz, Sand und große Kiesel, durch die das Wasser wie durch einen Filter abfließt, so dass man von einer Seite auf die andere springen kann, ohne nasse Füße zu bekommen, während die Bucht selbst so tief und breit ist, dass man nirgendwo hindurchwaten kann, und zudem angefüllt mit ungenießbarem Brackwasser. Weshalb wir für Tee und Suppe das Wasser aus einem neben der Baracke stehenden Boiler einer einstigen Duschvorrichtung schöpfen, der so unvorstellbar von Rost zerfressen ist, dass sich in der abgestandenen Brühe (die vermutlich seit der Schneeschmelze dort dümpelt) rote, an Wasserpflanzen erinnernde Zotteln gebildet haben. Des Weiteren erblickt man, gelenkt von einem sich tief in die Insel hinein erstreckenden Haffarm, das Flüsschen Chabtschikal, das seine Wasser in dieser kalten und bitteren Schale mit denen der Kriwaja vermischt. Seinen schönen Namen verdankt das Flüsschen einem einsamen Walross- und Eisbärjäger, der hier vorzeiten seinem Handwerk nachging. Es heißt, das Geschirr von Chabtschikals Renen sei behängt gewesen mit Schmuck aus Mammutelfenbein, obgleich dieses auf Kolgujew nicht zu finden ist. Und schließlich erblickt man, in dem Dreieck zwischen Chabtschikal und Kriwaja, ein dunkelerdiges Vorgebirge, das sich über all den Wassern erhebt wie eine gewölbte Stirn, gekrönt mit einem Kranz aus geschwärzten Eisenfässern …
    Während Petja und ich das von den Flüssen aufgestaute Haff nach einer Stelle absuchten, an der wir hindurchwaten könnten, banden auf der Nehrung unsere Trekkinggefährten mit einem im Sand gefundenen Nylonseil Holzstämme zu einem Floß zusammen. Petja und ich hielten das für reine Zeitvergeudung, doch als wir, bis auf die Knochen durchfroren, zum Gatt zurückkamen, ohne eine Furt gefunden zu haben, war das Floß fertig und lag im Wasser. Das Gefühl, es werde sich unter unseren Füßen auflösen und einer von uns müsse ganz bestimmt im klaren, brackigen Becken seine Taufe erleben, sollte mich erst loslassen, als ich selber darauf stand. Mit einem langen Brett bald wie mit einer Stange, bald wie mit einem Ruder hantierend, erreichte ich das andere Ufer, obwohl das Floß so tief unter Wasser gedrückt wurde, dass nur noch die oberen Querbalken mit ihrer grünen Nylonseilumwickelung herausschauten.
    Einer nach dem anderen setzten wir über und erklommen dann einen Hügel. Von seinem flachen Kamm aus eröffnete sich uns der Blick auf

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