Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
beim Bau von Flößen, wenn im Frühjahr die Flüsse über die Ufer treten (dann brauchen sie mehrere davon). Auch ein Stück Burukrytie rissen sie unmittelbar vor unserem Auf bruch von der Wand der Pennerhütte.
Die Haut eines riesigen toten Tieres, hätte man meinen können.
Auch wir rissen unser Stückchen aus diesem zu Tode gemarterten Leib.
Das Gerippe trat zutage.
Die winddurchfegten Räume des Hohen Nordens sind übersät von diesen Gebeinen eines zugrunde gegangenen Landes.
Die Kannibalen sind eine Zunft so eifrig wie keine zweite, denn das, was sie verzehren, wächst nicht nach. Ihr Gelage ist hastig und freudlos. Es ist der Tod, der sie ernährt. Als ich drei Jahre später noch einmal nach Kolgujew kam, war in den weitab liegenden Ruinen schon absolut nichts mehr zu finden außer verrostendem Eisen und altem Holz – sie waren sauber kahlgefressen. Ja selbst Bugrino sah aus wie ein auf einer Sandbank gestrandetes Schiff, auf dessen Deck kopflos Passagiere umherstreichen, die keinen Platz mehr in den Rettungsbooten gefunden haben, und auch ein paar Matrosen sind zurückgeblieben in der Hoffnung, der Vorrat an Treibstoff und Lebensmitteln werde reichen, bis andere ihnen zu Hilfe eilen, um sie aus dem Schlamassel zu befreien.
Aber es kommt niemand. Der Funkverkehr ist abgebrochen. Die Menschheit hat sie vergessen.
Wie das Ausmaß ihrer Verzweiflung schildern? Wie die Augen der Greisinnen beschreiben, die, hungrigen Greifen gleich, auf die Beerdigung der anderen harren?
Petkas Tagebuch vermerkt: »Um 21 Uhr 50 gestartet.«
Es war sehr feucht und kalt.
Das Floß schaukelte auf der grauen Wasserfläche. Es hatte sich vollgesogen, war schwer geworden. Als ich mich, den Rucksack umgeschnallt, daraufstellte, stieg mir das Wasser bis zu den Knöcheln hinauf. Vorsichtig mit dem Ruder hantierend, damit dieses halbe U-Boot bloß nicht noch weiter unter Wasser gedrückt wurde, überquerte ich das Haff. Auf der anderen Seite angelangt, befestigte ich ein Seil daran – so wurde eine Fähre daraus.
»Nebel senkte sich herab und dunkle Wolken zogen auf. Das Zeichen, dass die Nacht angebrochen war. Vom Meer her blies ein kräftiger Wind, Nässe stieg auf. Sogar wenn man einfach nur dasteht, glänzen die Stiefel, als wäre man durch Wasser gelaufen. Einzeln setzten wir auf dem Floß über die Bucht, brauchten so unser Schlauchboot nicht aufzublasen. Die Füße waren sofort eiskalt, schnell auch die Hände. Wir liefen langsam, weil Wasja noch immer Probleme mit dem Laufen hatte, beim Auftreten wie beim Beugen des Knies. Er meint, das linke sei schon immer eine Schwachstelle seines Körpers gewesen (mir scheint, eher das rechte). Wir beide gingen zusammen, während Tolik und Alik uns ständig davonliefen. Wir konnten sie nur sehen, weil an Toliks Rucksack das signalrote Positionslicht, das er am Strand gefunden hatte, baumelte und an Aliks Rucksack ein weißes Rentierfell. So hatte ich mir die Tundra nicht vorgestellt: ständig Bülten, Schluchten und ein Dickicht aus Weidengebüsch. Ich war sehr beeindruckt, als es sich um mich schloss. Die Sträucher sind mannshoch und ihre ineinander verschlungenen Äste armdick. Man sieht beim Laufen nicht, was unter den Füßen ist, man setzt nur einen Schritt vor den nächsten, schaufelt mit den Armen die Sträucher beiseite und presst seinen Oberkörper vor, um sich einen Weg zu bahnen, aber es ist, als würde das Dickicht dich wie eine Feder zurückschnellen lassen. Zehn Meter kommen einem wie hundert Kilometer vor. Sobald du einen falschen Tritt machst oder irgendwo mit dem Fuß hängenbleibst, gerätst du ins Straucheln, und dann kommt noch das Gewicht des Rucksacks dazu, und schon wirft es dich um …«
Oh ja, das ist sehr genau erfasst: Und je mehr du dich beeilst, desto mehr verfängst du dich im undurchdringlichen Astwerk, desto deutlicher hast du das Gefühl, in eine Falle geraten zu sein. Besonders, wenn die andern alle vorgegangen sind: Einmal blieb ich allein zurück in diesem »Wald« und versuchte fieberhaft herauszufinden, wie weiter, wo verlief die Fußspur der andern – denn sie waren doch eben erst hier irgendwo lang! Ich richtete mich zu voller Höhe auf, sah aber nicht die leiseste Bewegung im Gestrüpp. Wo waren sie bloß? Erneut suchte ich den Boden ab, glaubte Spuren zu entdecken, zumindest war das Moos niedergedrückt – aber diese Spuren führten mitten in ein riesiges Weidengestrüpp hinein. Das Gebüsch war wirklich so dicht, dass ich es erst beim
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