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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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ihre »Reisen« nicht unter Zuhilfenahme des roten Fliegenpilzes unternommen haben (der den sibirischen und nordamerikanischen Schamanen bekannt war), sondern ausschließlich durch Praktiken der Askese und der Meditation.
    Nein, nein, ich habe meine Insel nicht vergessen! Seit jener Nacht, als wir vom Finstern bis zum Licht durch die Tundra wanderten, ist geraume Zeit vergangen, aber wir waren ja übereingekommen, auch einigen sehr fernen Folgen dieser nächtlichen Wanderung nachzugehen. All das, was ich auf der Insel gefunden hatte, nahm ich mit nach Paris. Und ich hoffte natürlich, Paris mit meinen Funden zu verblüffen. Ich hoffte, ein Fenster nach Europa aufzustoßen. Was ich dafür dabeihatte? Ein paar Fotos und ein paar in einer Zeitschrift veröffentlichte Kapitel meines angefangenen Buchs. Nicht gerade viel, könnte einer sagen. Na und?, würde ich erwidern. Welchen Künstler hätte das je abgehalten? Die großen waren sämtlich von sich eingenommen. Van Gogh konnte nicht mal zeichnen, als er herkam, während in meinen fertigen Kapiteln die auf der Insel so intensiv empfundene Fülle des Lebens nicht schlecht dargestellt war. Genauso das wunderbare Erlebnis der Leere, le Vide … Erst jetzt begreife ich, wie verrückt mein Plan war, eine touristische Reise nach Paris zu nutzen, um auf eigene Faust Leute zu finden, die sich für mein Projekt interessieren könnten …
    Aber so ganz unsinnig war es anscheinend doch nicht, denn ich trieb ein paar Leute auf, die auf die eine oder andere Weise mit russischer Literatur zu tun hatten; trotzdem: von meinem Thema verstanden sie nichts. Ich brauchte einen Gleichgesinnten, nur einen, aber den zu finden gelang mir eben nicht …
    Nun ja, dachten sie wahrscheinlich, das hat Format, le Grand Vide, die große Leere … großes Format, aber dafür braucht es die gedrängte Dichte von Paris …
    Natürlich, stimmte ich zu, der Gedanke liegt nahe. Wenn irgendwo ein solches Materiekonzentrat wie Paris existiert, dann muss natürlich auch irgendwo Leere sein, eine seiner Unausmessbarkeit korrespondierende Leere, und die lässt sich ja tatsächlich an allerlei Orten der Welt finden: in der Wüste Gobi oder den großen Wadis der Sahara – Djerat, Dilia –, und erahnen an den Umrissen von Labrador, wo die Entfernungen von einem besiedelten Punkt bis zum nächsten ebenso groß sind wie in unseren Tundren, und dass da einmal Menschen ihren Fuß hingesetzt haben, davon zeugen nur die von ihnen hinterlassenen Namen, der Seen zum Beispiel: Lac Champdoré, Lac Jeannin, Lac Couture – Spuren von Franzosen, bestimmt Jägern, die hier einst auf ihrem Weg von Montréal in die Zobelgebiete des Nordens durchkamen.
    Aber »Kolgouev«, den Namen kannte hier keiner, und wie erklären, ce que c’est?
    Unweit von Labrador machte ich auf dem achtundsechzigsten Breitengrad ein zwar unbewohntes, aber perfektes nordamerikanisches Analogon zu Kolgujew aus: Prince Charles Island; und die Insel gleich daneben – Nova Zembla – war zweifelsohne ein Widerhall jener Epoche, als die gescheiterte Suche nach der Nordostpassage die Europäer zwang, ihren Blick nach Westen zu richten, und einer der Seefahrer, die mit dem Auftrag, die »Nordwestpassage« zu finden, Amerika umsegelten, auf diese Insel stieß, die ihn an Nowaja Semlja erinnerte. Ich bin überzeugt, dass dieser Seefahrer Henry Hudson war.
    Für mich war seit langem alles verbunden, alles besaß Sinn, und meine Insel vertrat gegenüber Paris alle wüsten Randgebiete der Erde, alle Menschen, die das Schicksal dort hatte zur Welt kommen oder stranden lassen, alle halb oder ganz vergessenen Mundarten, alle Märchen, die noch nicht zu Comics oder Zeichentrickfilmen transformiert worden waren, alles, was noch nicht hundertmal wiedergekäut und durchgehechelt war von einer »Kultur«, die längst erstickt wäre, kämen von dort, von außen her, aus den Wüsteneien der Welt, nicht von Zeit zu Zeit erfrischende Winde hereingeweht …
    Begreift Paris das?
    Ich glaube nicht.
    Anscheinend hält diese Stadt es für ganz natürlich, dass unerschöpfliche Energiemengen in ihren gigantischen Trichter fließen; nur wenn es zu Unterbrechungen kommt, wird sie nervös wie ein Snob, dem die längst alltäglich gewordenen raffinierten Speisen, raffinierten Getränke, raffinierten Tabake plötzlich entzogen werden. Aber davon hört ein Snob nicht auf, ein Snob zu sein. Snobismus sieht Dankbarkeit gegenüber dem, der ihn nährt, nicht vor.
    Ja, ich wollte die Leere

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