Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
weiter und weiter – und alles gelingt. Die neue Sprache lügt nicht, sie fordert einzig und allein Fortsetzung, neue, immer wieder neue Formen und Möglichkeiten des Selbstausdrucks – und so stellt sie dich vor die Notwendigkeit, erneut dorthin aufzubrechen, woher du deine unglaublichen Fähigkeiten genommen hast. So wird das Buch Leben, und das Leben Buch. Und eine Zeitlang macht dir das keine Angst, so lange nämlich, wie die schriftstellerischen Ambitionen nicht nachlassen und du nicht deinem Buch Auge in Auge gegenüberstehst. Jaja, es gab Berauschtheit und Begeisterung – Begeisterung beim Schreiben, Begeisterungsmomente im Reisen –, einige Augenblicke (Augenblicke eben) eines unbeschreiblichen, unwiederholbaren Glücks … Aber jetzt, jetzt musst du aus diesen von dir erlebten Begeisterungsmomenten ein halbwegs konsistentes Gewebe herstellen, ein halbwegs solides Buch, und nebenbei so gut es geht dein Leben und das deiner Nächsten gestalten … Da begreifst du, dass dein Buch wohl niemand brauchen wird. Und in dem Moment, in dem dich Zweifel und Erschöpfung anfressen, verschwindet die Begeisterung aus dem Buch, das sich plötzlich in ein nicht zu stemmendes Gewicht verwandelt, in den Versuch, etwas zu erklären, was nicht einmal zu verstehen ist. Und je größer die Erschöpfung wird, desto unerträglicher auch die Last der Seiten. Im Buch nämlich kommt der Bewegungselan, der dich vorwärtstrieb, zum Erliegen und erstirbt … Und nun sitzt du hier. Sitzt da und füllst dich an mit Gewicht, drehst die Erdklumpen aus Worten um und um, wühlst in den Sänden, knetest den Lehm, aber wieder gelingt keine Form, die so leicht, schön und
frei
wäre wie das, was sich dir in der Zeit des Unterwegsseins eröffnet hat …
Man geht hinaus, seiner Freiheit entgegen – und wird Sklave der eigenen schöpferischen Arbeit. Ja, Liebste, so kommt es. Der Mensch geht, wie das Ren, von selbst in die Unfreiheit. Und wenn diese das Schreiben ist, so ist es eine ernste Falle, aus der du nicht so einfach wieder herauskommst.
Schreiben ist vielleicht die äußerste Form von Egoismus. Deshalb setzt du irgendwann alles auf eine Karte und beschließt, du musst gewinnen. Schließlich verdoppelst du noch den Einsatz und greifst zu den in solchen Situationen üblichen Dopingmitteln, wobei du längst vergessen hast, dass ursprünglich von Einsätzen keine Rede war, dass niemand dir eine Belohnung versprochen hat, außer der Teilnahme an der Kundreise. Sie ist die Belohnung, eine andere wird es nicht geben, begreif das …
Aber wusste ich damals denn, Liebste, dass die Arbeit sich so viele Jahre hinziehen würde? Ich dachte, ein Jahr oder zwei, aber fünf – nein, trotz allem … Ich wusste nicht, dass alles derart qualvoll würde. Dachte nicht, dass das zuerst als neue, bildreiche Sprache ein Stückchen sich auftuende Buch mir zur tödlich drohenden Gefahr würde. Ich erlebte Abenteuer, und das war interessant. Jetzt dagegen führe ich vor meinem Buch ein Pariadasein, sitze wie ein Verfluchter acht, neun, zehn Stunden pro Tag am Schreibtisch, die Freunde haben mich vergessen, und auch ich habe schon halb vergessen, was menschliche Gefühle sind, Freude, Heiterkeit …
Aber die Kunst hat ihre eigenen unerbittlichen Gesetze. Für jedes Recht muss bezahlt werden, auch für die Freiheit des Schreibens. Außerdem habe ich die eine oder andere Erklärung abgegeben, die durch Taten bekräftigt werden will. So bleibt mir nichts übrig als weiterzumachen. Aber als ich fortging von dir ins Verlies der Schriftstellerei, wusste ich da, dass ich Rotz und Wasser heulen würde, getrennt von dir und mit einem Buch, das mich umbringt?
Das Buch hat uns auseinandergebracht, das Buch hat sich zwischen uns geschoben, sich im Leben quergestellt, hat alle meine Gefühle absorbiert, mir das Letzte geraubt und mich an die Grenze der Erschöpfung und Stumpfsinnigkeit gebracht, als in meinem Kopf nichts mehr außer der verfluchten Insel war … Aber nährt eine Insel die Liebe? Liebe braucht frische Luft, lebendige Kraft … Ich mit meinem Buch dagegen – bin ich nicht eine erbärmliche Gestalt?
Solch eine Frage ist unerlässlich. Solch eine Frage muss unbedingt gestellt werden,
schöpferische Arbeit
muss durch tiefen Zweifel auf die Probe gestellt werden, und wenn sie trotz allem fortgesetzt werden will, muss sie sich eine Rechtfertigung finden. So zieht der Schriftstellerstolz das Schuldgefühl nach sich. Und dann die Reue – womöglich das
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