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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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Lebens=Art und Aberglauben Derer Norwegen / Lappländer / Kiloppen, Borandier, Syberier, Moßcowiter / Samojeden, Zemblaner und Ißländer ; sammt andern Merckwürdigkeiten accurat beschrieben werden
, Leipzig, 1703. Auch die ersten drei (der insgesamt vier) Teile von Iwan Lepjochins
Tagebuch der Reise durch verschiedene Provinzen des Russischen Reiches
wurden ins Deutsche übersetzt und erschienen 1774-1783 in Altenburg. [Anm.d.Ü.]
    53 V. N. Černecov, »Drevnjaja pomorskaja kul’tura poluostrova Jamal« [Die alte pomorische Kultur der Jamal-Halbinsel],
Sovetskaja etnografija
, Nr. 4/5, Moskau, Leningrad, 1935, S. 120.
    54 Zur samojedischen Sprachgruppe gehören Nenzisch, Enzisch, Nganasanisch, Selkupisch sowie einige andere untergegangene beziehungsweise tote Sprachen, von denen wir nur durch Wortlisten wissen, die im 18. und 19. Jahrhundert angefertigt wurden.
    55 Siehe »Das Buch der beigelegten Seiten«, I.

Das Märchen für die Geliebte
    Nun, Liebste: Es scheint, ich bin gegangen weiß-nicht-wohin. Und habe dort sogar gefunden das weiß-nicht-was. Ich nenne es Buch, weil es keine andere Bezeichnung für diese Sammlung von unterwegs zusammengeklaubten Geschichten, Tagebuchnotizen und halbwegs miteinander verwobenen Kapiteln gibt, von denen manche vernünftig kurz geraten sind, andere dagegen wie unter zu großem inneren Druck über viele Seiten zersprengt daliegen.
    Das Buch.
    Vorzeiten öffnete ich die Pforte unserer Datscha bei Moskau und zog hinaus, meinen kartographischen Traum – die
Insel
– zu suchen, im Glauben, ich würde dir von meiner Wanderschaft ein wunderbares Märchen mitbringen. Ein Märchen, das uns die langen Winterabende verschönern und mir erlauben würde, Teilnehmer einer
Forschungsreise
zu werden. Denn ungeachtet des Scheiterns der von ihrem Chronisten so beredt bezeugten
Pilgerreise
, glaubte ich, die Expedition werde weitergehen und ihre geheimen Teilnehmer würden sich, geheimen Pfaden folgend, Wege zu einem unbekannten Ziel bahnen. Mit der Zeit erhielt ich Beweise, die meine Vermutung untermauerten, ich erfuhr sogar die Namen einiger Expeditionsteilnehmer – doch besaß ich damals nichts: nur ein brennendes Verlangen nach echter geistiger Bruderschaft und einer reinen, essenziellen Wahrheit, die diese Bruderschaft wert wäre, und die sich nicht aus irgendwelchen Büchern herauslesen ließe, sondern nur selbst errungen werden kann …
    Als ich fortging, war unsere älteste Tochter zwei Jahre alt, sie lief noch ganz drollig-ungeschickt, und betrachtete ausgiebig die flaumigen Pusteblumen, als seien sie das größte Wunder. Jetzt ist sie acht und stellt erwachsene Fragen, und die Geschichten, die ich in diesem Buch für dich zusammengetragen habe, kann ich auch ihr erzählen. Die Jüngste ist noch ganz klein, lächelt bisher bloß, und wenn sie sitzt, schwankt sie täppisch wie ein der eigenen Bewegungen unsicheres Bärenjunges. Von meiner Wanderschaft wird sie nur vom Hörensagen erfahren. Mein Gott, ich bin wirklich lange nicht mehr richtig zu Hause gewesen! Mich überkommt manchmal die Furcht, dass ich womöglich zu lang auf meiner Geschichtensammelreise war, um bei meiner Heimkehr noch wiedererkannt und mit alter Liebe aufgenommen zu werden.
    Ich erinnere mich an meine letzte Abreise von der Insel, als auch Rubzow von ihr fortging, der nach Anatali Poluektowitschs Tod drei Jahre als Chef des Hubschrauberlandeplatzes in Bugrino war, nachdem er zuvor in derselben Funktion zwanzig Jahre bei den Geologen an der Pestschanka gearbeitet hatte. Ich ging wegen des Tickets bei ihm vorbei und traf ihn beim Packen an. Die ganze Habe dieses ruhigen, hageren Mannes gegen sechzig passte in eine Lederaktentasche, die nicht einmal sonderlich prall gefüllt war. Umso mehr, als er ein Paar geflickte Filzstiefel, eine blankgesessene Hose und eine verschossene alte Jacke zu einem Bündel zusammengeschnürt hatte, mit dem er demonstrativ zur Steilküste schritt, wo er es »über den Abhang« warf. Er wollte sich für immer von Kolgujew verabschieden. Der Helikopter kam und mit ihm auch Rubzows Ablösung, ein junger Bursche in blauer Luftfahrtuniform, der heraussprang und um sich schaute, erst mit Staunen, dann plötzlich mit Schrecken in den Augen, was sofort den Neuling verriet. An ihm erkannte ich, wie seinerzeit ich selber um mich geschaut haben musste. Rubzow übergab ihm die Amtsdinge und ging zum Hubschrauber. Die Piloten boten ihm als altem Bekannten einen Platz in der Kanzel an, aber er

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