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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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genau die Unerfahrenheit von Sir Hugh Willoughby, der zum ersten Mal eine Seereise unternahm, den Engländern zum Verhängnis.

Trevor-Battye
    Es wird endlich Zeit, von Trevor-Battye zu sprechen, dem wir in aller Bescheidenheit unsere Wanderung gewidmet haben. Verschiedene Umstände – und wichtige – hatten mich, wie der Leser bemerken konnte, hiervon abgehalten, jetzt aber ist der Augenblick gekommen, aufzuklären, wer Trevor-Battye war und weshalb wir ihn auf die Fahne unserer Expedition geschrieben hatten. Was freilich nicht überstürzt und unvermittelt geschehen darf, ist er mir doch lieb und teuer. Ein natürlich sehr subjektives Gefühl – aber während ich gerade in meinen Notizen blättere, stoße ich auf die Fotokopie der Seite 477 des dreizehnten Bandes der
Encyclopedia Britannica
von 1949 mit einem Artikel zu Kolgujew und begreife plötzlich: Er war es, der meiner Liebe zu dieser Insel Nahrung gab. Er eröffnete ihr den Durchschlupf in eine andere Dimension (zunächst ins 21. Jahrhundert), er gab ihr die Möglichkeit zu wachsen und mich auszufüllen …
    Es ist nämlich so, dass keine einzige Enzyklopädie aus Sowjetzeiten eine Bibliographie zu Kolgujew bietet. Und nach meiner ersten Rückkehr wusste ich nicht, wie – durch welche Lektüren zumindest – ich die in mir erwachte seltsame Anhänglichkeit an die Insel speisen konnte. Die alte
Britannica
verwies mich gleich auf eine in deutscher Sprache veröffentlichte Arbeit von Alexander Tolmatschow und auf das Buch von Aubyn Trevor-Battye:
Ice-Bound on Kolguev
, London, 1893 21 . Die Zeile entfaltete sich mit der Zeit, wurde zum Buch, das ich las; und das Buch wurde zur Kette unserer Spuren an der Küste des Ozeans und zu all den Beobachtungen, die für mich einen Bezug zum Studium der Eigenschaften von Raum und Zeit haben …
    Das Gesagte genügt, um mich nicht weiter in Sympathieerklärungen für Trevor-Battye zu ergehen. Über ihn selbst wird gesondert zu erzählen sein, und ginge es nach mir, so begänne ich meinen Bericht gleich hier und jetzt, am Ufer des Flüsschens Charobkopjun, während meine Gefährten damit beschäftigt sind, zu mir überzusetzen. Wir haben zum ersten Mal das Schlauchboot auf blasen müssen, und jetzt bringt Alik, mit den kleinen Rudern hantierend, Mann um Mann, Rucksack um Rucksack von einem Ufer zum anderen. Ich war als Erster dran, habe mich ins Moos gelegt, mir eine Zigarette angezündet. Ich schaue auf das Flüsschen, in dem sich blautümpelig der Himmel spiegelt, und auf die blanke Fläche der Promojnaja-Bucht … Es geht mir gut. Nach dem gestrigen Gewaltmarsch und der praktisch schlaflosen Nacht könnte ich gut so liegen und rauchen und erzählen … Aber es ist zu früh zum Ausruhen, das herrliche Wetter scheint sich zu halten und wir haben nicht weit zu gehen: Luftlinie sind es an die sechzehn Kilometer, also wohl um die zwanzig, plus minus …
    Wenn ich gewusst hätte! Wenn ich gewusst hätte, dass, was die Erforschung der Eigenschaften von Raum und Zeit betrifft, dieser Tag wirklich herausragen sollte! Dass wir für diese sechzehn (zwanzig?, vierzig?) Kilometer zehn Stunden reine Wanderzeit brauchen würden und am Ende des Tages, als wir uns mit Trevor-Battye auf parallelem Kurs längs der Koschka nach Nordwesten bewegten (er auf dem Meer, wir an der Küste), mir das Pochen des Blutes im Kopf die letzten Gedanken trüben und ich darüber vergessen würde, meinem persönlichen Expeditionsstab seinen, Trevor-Battyes, Namen zu nennen …
    Verzeihen Sie mir, Sir, wir gerieten in die Falle unserer eigenen Dummheit. Bis zum Mittagessen ging alles gut: Nach einer Bootsüberquerung des Flüsschens Jurotschnaja aßen wir auf einer Anhöhe eine kräftige Suppe und genossen die wunderbare Aussicht durch das Flusstal aufs Inselinnere und die blaugezackte, sich über das grüne Massiv der Tundra erhebende Doroschkin-Kuppe. Vor uns breitete sich eine vollkommen unberührte, ursprüngliche Welt unter dem Himmel aus. Im Hohen Norden hat man nicht selten das Gefühl, gar nicht auf der Erde zu sein, sondern auf einem anderen Planeten, der ganz aus Eis und Kegeln flüssigen Lehms besteht oder aus schwarzem Gestein, das sich schuppig unter den Füßen schichtet – aber dort war es, als seien wir doch auf der Erde, nur vor sehr langer Zeit. Vor dem Menschen.
    Leise murmelte der Fluss. Wind wehte vom Meer herüber. Das breite Tal erschien rot, gefirnisst mit Lehm. Dieser Überzug, den kurze Überschwemmungen hinterlassen, ist

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