Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
zu fangen.
Finchs Mitstreiter, William Gordon, schreibt dazu Folgendes: »Nachts bootete ich aus, um das Eiland zu erkunden, das ein hoher Lehmgrund war. Ich gelangte zu einem Brutgebiet von Wanderfalken, doch sie waren alle abgeflogen, bis auf einen, den ich aufgriff und an Bord brachte …«
Der Vogel ist gefangen. Der Kreis hat sich geschlossen.
Unter der Herrschaft von Zar Alexej Michajlowitsch wurde Fremden der freie Verkehr in russischen Gewässern untersagt, ebenso den Kaufleuten, an anderen Stapelplätzen als Archangelsk Handel zu treiben. Dies geschah, kurz bevor der niederländische Geograph Nicolaes Witsen – der vom holländischen Gesandten in Moskau geheimes Kartenmaterial und Informationen über den russischen Norden erhalten hatte – zu dem endgültigen Schluss kam, dass die Nordostpassage keine taugliche Route nach China sei, wodurch das Interesse der Europäer am Hohen Norden für lange Zeit erlosch.
Jenseits dieses Sujets bleiben leider unzählige andere, nicht weniger fesselnde Geschichten unerzählt, die gleichwohl auf merkwürdige Weise miteinander verbunden sind wie die Ringe eines Kettenhemds oder die Ringe des tundrischen Dauerfrostbodens. Es wäre verlockend aufzuzeigen, wie die italienischen Gespräche des russischen Gesandten Dmitri Gerassimow zusammenhängen mit dem Tod von Henry Hudson (der als Engländer in holländischen Diensten segelte) sowie mit der Gründung New Yorks und mit zwei englischen Interventionsversuchen im russischen Norden.
Uns bleibt aber vom Notwendigen zu berichten, denn wenn schon von Ringen die Rede ist, so gilt es Rechenschaft darüber abzulegen, was auf dem Ring stand, den die von Alik erschossene Gans ums Bein trug, steht doch zu bezweifeln, dass diese Information auf anderweitigem Wege die internationale Vogelberingungszentrale erreicht. Die Inschrift lautete: »Vogeltrekstation 7.084.840. ARNHEM. HOLLAND .«
Wir sind mit den Niederlanden über Hunderte von Himmelsrouten verbunden, von denen wir nicht die leiseste Ahnung haben …
Auf der im kalten Meer verlorenen Insel ist die Welt der Gegenstände so karg, dass ein kleiner Aluminiumring um das Bein eines Vogels hier beinah ein Schatz ist. Die Graugans hat eine Botschaft mitgebracht, die ihren Adressaten erreicht hat, auch wenn sie in einer unverständlichen Sprache abgefasst ist. Der Vogelring beglaubigt die Materialität Europas, das leeres Wort blieb, bis im Tal eines kleinen Tundraflusses der Schuss des Jägers fiel. Nicht der Zufall, sondern die Vorsehung verfolgt eifersüchtig die Kugel, die ihr Ziel trifft und so den Auserwählten zum authentischen Zeugen eines Geheimnisses macht, das hier auf der Insel niemand auch nur erahnt. Einst übersandte die Insel Europa eine Herausforderung – den Falken. Europa nahm die Herausforderung an und enthüllte die Insel. Jetzt antwortet es seinerseits mit einer Herausforderung, indem es die Gans auf die Insel sendet. Wir wissen nur, die Herausforderung wurde angenommen, können aber nicht sagen, durch welche Peripetien dieses Sujet, das einen Kreis beschrieben hat, in neue Drehung gerät.
19 Hochseetaugliche Zwei- bzw. Dreimaster zum Transport von Gütern und Menschen, nicht zuletzt von den russischen Fangmännern, den Promyschlenniki, des Hohen Nordens genutzt. [Anm.d.Ü.]
20 So normal auf den ersten Blick diese Erklärung klingt, für die Fachleute wirft sie Rätsel auf. Willoughbys Schiffe
Bona Esperanza
und
Bona Confidentia
wurden von Pomoren in tadellosem Zustand gefunden. »Es ist unwahrscheinlich«, schreibt Wassili Galenko, der sich mit dem Thema befasst, »dass die Engländer, wenn sie zu erfrieren drohten, nicht einen Teil des Holzes, aus dem die Schiffe gebaut waren, verfeuert hätten. Aber die Schiffe waren vollkommen intakt und konnten, als dreiunddreißig Monate später neue Mannschaften kamen, in See stechen. Sind sie also verhungert? Die Vorräte an Bord hätten ja eigentlich für den ganzen Weg ›nach China‹ reichen sollen. Bleibt der Skorbut. Der jedoch entwickelt sich nicht so rasch, weshalb es wenig wahrscheinlich ist, dass alle dreiundsechzig Mann innerhalb von vier Monaten daran starben.« Doch wie begründet diese Einwände auch sind, fest steht, dass es keine andere irgend plausible Erklärung für den Tod der Engländer gibt. Vierzig Jahre später mussten Barents’ Begleiter auf Nowaja Semlja eine weit herbere Überwinterung durchstehen, doch konnten sie ihm und seiner Erfahrung uneingeschränkt vertrauen. Vielleicht wurde ja
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