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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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Nachzügler einer Familie geht – Letzter. Somit schreibt sich der Name der Insel in ein semantisches Feld ein, zu dem sich auch Wörter wie Rand oder Ende gesellen. Und noch etwas ist bemerkenswert: Auf der Insel Anser des Solowezki-Archipels heißt ein Kap Kolgujew. Ein Zufall? Oder sind dies toponymische Restspuren einer grandiosen Brücke, über die von unbekannten Völkern Namen getragen wurden, die heute keiner mehr zu entschlüsseln weiß?
    … 1580, 20. August: Vor Kolgujew liefen die beiden Engländer Arthur Pet und Charles Jackman mit ihren Schiffen auf Grund. Von der Muscovy Company nach Osten entsandt »in das Land Kathai oder die Herrschaftsgebiete von dessen großmächtigem Kaiser«, wo sie trachten sollten, »unter allen Umständen die Städte Kambalu und Kinsai oder eine von beiden zu erreichen«, war ihre Expedition bis in die Karastraße gelangt, dort aber auf Eismassen gestoßen, die sie zur Umkehr zwangen. Zwar hatte die Leitung der Company den beiden Seefahrern eingeschärft, jede Insel, auf die sie unterwegs stießen, zu erkunden, ob sie zur Errichtung befestigter Siedlungen und Häfen entlang der künftigen Handelsroute in Besitz zu nehmen sei, doch bei Kolgujew gelang Pet und Jackman die Landung nicht, wodurch allerdings das Ende der hier erzählten Geschichte wohl nur um gut dreißig Jahre hinausgeschoben wurde. Ihr Bericht lautet wie folgt: »… um 12 Uhr befanden wir uns plötzlich in seichten Gewässern, umgeben von großen Sandflächen, und fanden keine Fahrrinne hinaus. Während wir loteten und suchten, liefen wir auf Grund … Diese Flachwasser liegen vor Colgoyeve, einer höchstens 2 oder 3 Fuß emporragenden Insel …«
    Mit Verspätung, doch unvorstellbarem Eifer machten sich im Gefolge der Engländer die Holländer auf, den Seeweg nach China zu suchen. Hier verzweigt sich die Fabel und bietet uns einige neue Namensvarianten – darunter die bemerkenswerte lateinische Form »Kolgio« in einem der zeitgenössischen Seebücher – und den Körper von Willem Barents, den seine Gefährten an der Küste Nowaja Semljas dem Schlund des pomorischen Ozeans übergaben: die See erhielt seinen Namen, im Gegenzug dafür bezahlte er mit dem Leben. Für die damaligen Europäer ein ehrliches Tauschgeschäft. Zumal Barents nicht hätte heimsegeln können, ohne die Handelsroute nach China gefunden zu haben: Mehr als jeder andere hatte er seinen Landsleuten wieder und wieder versichert, die Route durch das Nördliche Eismeer werde sie zu den unermesslichen Reichtümern des Orients führen.
    1594 trotzte Balthazar de Moucheron, einflussreicher Amsterdamer Kaufmann, der ein Jahrzehnt lang sorgfältig Material über Russland gesammelt hatte, den niederländischen Generalstaaten die Ausrüstung einer Kundfahrt ins Nordpolarmeer ab, indem er anbot, ein Viertel der Kosten zu übernehmen – für eine Beteiligung in selber Höhe am künftigen Erwerb. Auch machte er sich für den Bau einer Festung auf Kolgujew oder Wajgatsch stark, um den Engländern den Weg nach Osten sicher zu versperren. Alle Seiten malten sich grenzenlose Gewinne aus, weshalb die Engländer wiederum zur selben Zeit beschlossen, alle ihren Kurs kreuzenden Schiffe, die nicht unter der Flagge der Company fuhren, erbarmungslos zu versenken. Damit mussten die Holländer rechnen und sich Routen in den Orient suchen, die nördlicher lagen als die der englischen Seefahrer. Die erste – und erfolgreichste – Kundfahrt leiteten die drei Kapitäne Nay, Tetgales und Barents. Nay gelang der weiteste Vorstoß nach Osten: Er segelte durch die Jugorstraße bis in die Karasee, und überzeugt, mit der Passage zum Ob den Zugang zu eben jenem Fluss gefunden zu haben, der in einem chinesischen Binnensee entspringen sollte, erklärte er die von ihm entdeckten Gebiete (das heißt: die Jugor- und die Jamal-Halbinsel) zu niederländischen Besitzungen – wodurch er sich in gewisser Weise den Gänsen seiner Heimat anglich, die für ihre Sommermauser und die Aufzucht ihrer Jungen ebendiese Landstriche sowie Kolgujew wählen …
    1611. Am 7. August wirft der englische Steuermann Richard Finch vor dem Nordende Kolgujews den Anker aus. Die Engländer lassen eine Schaluppe zu Wasser und steigen – achtundfünfzig Jahre, nachdem sie erstmals die Insel gesichtet hatten – endlich an Land. Das Erste, was sie unternehmen – ohne im mindesten zu ahnen, dass sie in ein symbolisches Spiel verwickelt sind, das drei Jahrhunderte zuvor begonnen hatte –, ist, einen Falken

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