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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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der sein Bild vom Arktischen Ozean aus Giovios Buch bezog. Zwei der drei englischen Schiffe trugen, da wahrscheinlich gekapert, spanische Namen. Doch ungeachtet des Optimismus, der in ihren Namen steckte, war ihnen kein Glück beschieden. Durch einen Sturm von dem Schiff Chancellors getrennt – der zuletzt die »Roseninsel« vor dem westlichen Mündungsarm der Nördlichen Dwina erreichen sollte (wodurch er für England den Seeweg nach Russland »entdeckte«) –, irrten sie lange durch die unwirtlichen nördlichen Meere, bis sie schließlich einsehen mussten, dass sie den Seeweg nach China nicht fänden, zumindest diesmal nicht. Heimwärts segelnd, versuchten Willoughbys Schiffe Ende September ins Weiße Meer zu gelangen, doch das Vorhaben erwies sich angesichts der Herbststürme und der tosenden See im Bereich der Meerenge als zu gefährlich, weshalb die Seefahrer zuletzt in der Nokujewski-Bucht vor der nördlichen Küste der Kola-Halbinsel zum Überwintern auf Reede gingen, an einer Stelle unweit des Flüsschens Warsina, welche die russischen Pomoren unter dem Namen Krugloje Stanowischtsche kannten, einem durch eine vorgelagerte Insel vor dem direkten Ansturm der Winde geschützten »runden Liegeplatz« auf dem Wege ins Warägerland. Hier ging die englische Besatzung der beiden Schiffe bis auf den letzten Mann an Hunger und Kälte zugrunde. 20
    Sir Hugh Willoughbys Tagebuch indes wurde gefunden. Unter dem 14. August ist von festem Land die Rede, gelegen auf dem 72. Breitengrad: »… Wir setzten eine Schaluppe aus, um zu erkunden, was für ein Land dies sei: allein, die Schaluppe vermochte der seichten Gewässer wegen nicht anzulanden, in welchen sich überdies sehr viel Eis türmte; auch gab es kein Anzeichen einer menschlichen Behausung …« In den Karten des 16. und 17. Jahrhunderts bleibt »Willoughby’s Land« – mal als Insel, mal als unbekannter Küstenabschnitt – verzeichnet, obwohl seit den holländischen Expeditionen auf der Suche nach der »nordöstlichen Durchfahrt« mit Sicherheit gesagt werden konnte, dass es an besagter Stelle kein festes Land gab; in der Angabe des Breitengrades hatte sich ein Fehler eingeschlichen … Mitunter gilt Nowaja Semlja als die von den Seefahrern gesichtete Küste, der schwedische Polarforscher Adolf Erik Nordenskjöld jedoch war der festen Ansicht, dass »Willoughby’s Land« nichts anderes sei als die Insel Kolgujew.
    Langsam, aber unerbittlich zieht sich der Ring der Erzählung um jene erstmals von Marco Polo erwähnten namenlosen nördlichen Inseln zusammen, die zweieinhalb Jahrhunderte später sich plötzlich den Engländern auf der Fahrt nach China und Indien vors Auge stellten so wie seinerzeit ihm selber die Goldene Horde. Damit der Kreis sich schließt, genügt eine Kleinigkeit: den Eilanden einen Namen zu geben und den Vogel zu fangen.
    Der Name: Er wird erstmals bei Stephen Burrough erwähnt, einem Vertreter der von den Engländern für den Handel mit Russland gegründeten Muscovy Company, späterhin der wichtigste englische Kapitän. Im Jahr 1556 drang er, begleitet von einer pomorischen Flotte, in einer Pinasse mit dem vielsagenden Namen »Gewinnsucher« (
Searchthrift
) bis zur Südinsel Nowaja Semljas vor, wo er durch Promyschlenniki von der Karastraße erfuhr, jenseits derer die weitere Route in östliche Lande zu suchen sei. Englands Selbsteingenommenheit als Seemacht gereichte ihm mitunter zu unermesslichem Schaden, mündete aber auch in komische Anmaßung – etwa wenn Burrough die Entdeckung der Karastraße zugeschrieben wurde. Aber nicht das ist wichtig für uns. In Burroughs Logbuch ist unter dem 25. August zu lesen, dass die Expedition an einer Insel mit dem schwer auszusprechenden Namen Colgoive vorbeigesegelt sei. »Wir warfen das Lot aus und fanden in 29 Faden schwarzschlammigen Grund …«
    Grammatisch betrachtet ist Kolgujew – was die im 19. Jahrhundert noch übliche Betonung auf der ersten Silbe verdeutlicht: »Kólgujew (und nicht Kalgújew)« wie Saweljew ausdrücklich schreibt – ein Possessivadjektiv, das auf die Frage »wessen?« Antwort gibt. »Wessen Insel ist das?« Die von Kólguj oder Kolgw. Wer dieser Kolguj oder Kolgw war, das lässt sich heute nicht mehr sagen, für uns aber wird noch von Bedeutung sein, dass dieser Name etymologisch wohl am ehesten auf eine finnisch-karelische Wurzel zurückgeht, nämlich auf
kolkka
oder
kolga
: Ecke, Winkel, entlegener Landstrich, oder auch – wenn es um das Nesthäkchen, den

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