Die Insel - Roman
aus und wälzte mich von dem Toten herunter. Als unsere verklebten Rücken sich voneinander lösten, gab es ein Geräusch, als würde man eine seit Stunden erkaltete Pizza vom Küchenboden ablösen, auf den sie im heißen Zustand und mit der Käseseite nach unten gefallen ist.
Als ich mich von Matt herunterwälzte, spürte ich, dass einiges von ihm an mir hängen blieb.
Ich krabbelte ein paar Meter von ihm weg. Und dann kotzte ich mir erst einmal die Seele aus dem Leib. Als nichts mehr kam, kroch ich weiter. Es war ein Wunder, dass ich mich überhaupt bewegen konnte. Nicht nur, dass ich im ganzen Körper Schmerzen verspürte, mir war auch noch so schwindelig, als wäre ich in einem von diesen irrsinnig dahinwirbelnden Fahrgeschäften auf einem Jahrmarkt gefangen. Trotzdem schaffte ich es irgendwie, mich auf allen vieren krabbelnd vorwärts zu bewegen. Ich hatte nur ein Ziel: möglichst rasch weg von Matt zu kommen.
Etwa drei Meter weit schaffte ich es, dann brach ich zusammen.
Und dann lag ich von Schmerzen gepeinigt da und muss wohl irgendwann einmal wieder eingeschlafen sein, denn als ich den Kopf wieder hob, war der Himmel über der Schlucht tiefschwarz. Ich setzte mich auf und lehnte mich an einen großen, runden Felsen.
Ein voller Mond ging auf und tauchte den Boden der Schlucht in blasses, bläuliches Licht. Er beleuchtete auch Matt.
Meinen stillen Partner.
Irgendwie kam er mir fast schon wie ein alter Freund vor.
Ein Kumpel, den ich schon ewig kannte und der sich in letzter Zeit sehr zu seinem Nachteil verändert hatte - vor allem, was die persönliche Hygiene anbelangte.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer er wohl sein mochte.
Vielleicht ein Goldsucher, überlegte ich mir. Er war Walter Huston, ich war Humphrey Bogart. Und wir hatten gerade eine Pechsträhne - wobei es ihn schlimmer getroffen hatte als mich.
»Sieht so aus, als würden wir uns keine Kaninchenfarm mehr kaufen, Lenny«, sagte ich zu ihm.
Falscher Film. Falsche Rolle. Trotzdem sagte ich es.
»Ist alles nicht so leicht«, sagte ich.
Ich überlegte mir, ob ich nicht zu ihm krabbeln und mir sein Gesicht ansehen sollte. Vielleicht kannte ich ihn ja.
War er am Ende etwa Keith?
Vielleicht hatten Wesley und Thelma ihn ausgegraben und seine Leiche hierher geschafft, um uns hinters Licht zu führen.
Nein.
Matt war zu groß für Keith.
Und Andrew konnte es auch nicht sein. Auch die falsche Größe. Außerdem hätten sie seine Leiche aus dem Meer fischen müssen.
Aber wer war er dann?
Oder sie? Matt könnte ja auch eine Frau sein, denn schließlich hatte ich nur den Rücken einer verwesten Leiche gesehen. Wenn, dann war sie keine Frau aus unserer Gruppe. Die waren alle noch am Leben gewesen, als sie schon in der Schlucht gelegen hatte.
Allerdings hatte ich Thelma nicht mit eigenen Augen gesehen. Aber wer sollte mir von hinten auf den Kopf geschlagen haben, wenn nicht Thelma.
Außerdem hatte Matt nicht ihre Figur.
Genauer betrachtet hatte er überhaupt keine weibliche Figur.
Das hieß zwar nicht, dass er unbedingt ein Mann sein musste, aber immerhin hatten auch Kimberly und Billie ihn für einen gehalten - nämlich für Wesley. Auch wenn wir uns schließlich wegen seiner Identität nicht ganz sicher
gewesen waren, hatte doch niemand an seinem Geschlecht gezweifelt.
Jetzt fragte ich mich, ob das richtig war.
Auch wenn Matt höchstwahrscheinlich keine Mathilda war, machte er mich doch neugierig.
Kannte ich ihn? Oder sie?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Aber ich wollte mich nicht bewegen.
Und ich wollte schon gar nicht die Leiche aus der Nähe sehen:
A. Sie stank.
B. Ihr Gesicht war bestimmt grässlich entstellt.
C. Sie war voller Maden und anderem Viechzeug.
D. Wenn ich mich ihr näherte, würde ich wieder das Grausen kriegen.
E. Oder ich würde wieder kotzen müssen.
F. Alle diese Punkte waren einfach zu viel für mich.
Also blieb ich, wo ich war.
Ich schaute hinauf zum Rand der Schlucht und versuchte mir zusammenzureimen, was überhaupt passiert war.
Offenbar hatte man mich bewusstlos geschlagen und in die Schlucht geworfen. Aber was war mit den Frauen?
Eines stand fest: Sie hatten die Schlacht nicht gewonnen.
Sonst wäre ich nicht Tage später am Boden der Schlucht aufgewacht. Auf einer Leiche und ganz allein.
Die Frauen hätten sich um mich gekümmert.
Nicht unbedingt, überlegte ich mir. Was wäre denn, wenn sie den Kampf gewonnen hätten, nachdem ich in die Schlucht gefallen war? Eine von
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