Die Insel und ich
er nichts anderes als Fleisch und Hundefutter in Büchsen zu sich nimmt, aber wenn er weiß, daß Mandelspeise mit Sahnesauce und Gurkensandwiches für jemand anders bestimmt sind, dann würgt er sie bestimmt hinunter. Eine Woche lang war er bei meiner Schwester Alison, was mir wie eine Sekunde und ihr wie zwei Jahre erschien. Während dieser Zeit besuchte mich Tiger tagein, tagaus. Manchmal schaute er nur herein, um einen Gummibonbon und einen Schluck Wasser in Empfang zu nehmen. Manchmal kam er vorbei, um mich von seiner Liebe zu überzeugen, indem er mir die Pfoten auf die Schultern legte und mir den Kopf ableckte. Und manchmal kam er unangenehm früh, zum Beispiel um halb sechs, und blieb den ganzen Tag.
Wir wurden gute Freunde. Tiger und ich. Und dann kam Tudor nach Hause. Ich hatte Tigers Herrin angerufen und ihr mitgeteilt, daß Tudor heimkäme und daß sie Tiger im Haus halten müsse, aber irgendwie klappte es nicht. Ich saß am Eßzimmerfenster und schrieb, und als ich aufsah, bemerkte ich Tigers tropfnasse Schnauze, die er gegen die Scheibe drückte, und seine Augen, die flehentlich um eine Liebkosung bettelten. Ich sprang auf und schrie Mutter zu: «Mutter! Tiger! Tudor! Tu was!»
Mutter hat sehr viel Geistesgegenwart, aber sie sträubt sich, die Tatsache anzuerkennen, daß Tudor Tiger haßt, also rief sie in ihrer sanftesten Stimme: «Komm her, Tudor!»
Tudor kam – aber wie. Er riß sie fast um, so raste er zwischen ihren Füßen hindurch und stürzte sich auf die Eßzimmertür, die aus Glas ist. Ich konnte förmlich hören, wie er dachte: «Meine Flinte her! Meinen Dolch her! Auf ihn! Auf ihn!»
Tiger hatte ganz friedfertig an den Kamelien geschnuppert und hörte Tudor nicht – oder wollte ihn übersehen. Dann muß ihm wohl Tudor einen furchtbaren Ausdruck an den Kopf geworfen haben, ein Schimpfwort, das sich selbst ein bonbonkauender und fernsehliebender Boxer nicht gefallen lassen kann, und mit Geheul sprang Tiger einfach durch die Scheibe. Mutter bückte sich, hob Tudor auf und trug ihn in ihr Schlafzimmer, so sehr er sich sträubte und zappelte. Ich schickte Tiger, der furchtbar schuldbewußt aussah, nach Hause. Don tauchte auf und nahm Maß für eine neue Scheibe. Eine etwas langweilige Arbeit, fand er. Es war nämlich schon die achte Scheibe, die er hatte einsetzen müssen, da auch Tudor am liebsten auf diese Art aus dem Haus zu springen pflegte – wie ein Polizist, der auf einen Hilfeschrei antwortet. Obwohl Tudor eigentlich gar nichts gelernt hat, ist er doch sehr klug und kann uns verstehen, wenn er will. Ich weiß, daß alle Hundefreunde das gleiche sagen, aber bei uns stimmt’s wirklich, weil bewiesen ist, daß Tudor Japanisch gelernt hat. Als wir nach New York reisen mußten, konnten wir die Kinder solange anderswo in Pension geben, aber keiner wollte Tudor nehmen, also mußten wir ihn und unsre Katze Murra bei Warner Yamamoto und Familie lassen, der uns versprach, er hätte «Tiare seah seah gärrn und will gutt futtern.»
Als wir wiederkamen, war Murra noch ganz die alte: sie lag auf dem Kaminsims und blickte verächtlich auf alle herab. Tudor aber sah nicht einmal so aus wie früher.
«Tudor, Tudor, wir sind wieder da!» schmeichelte ich.
Er warf mir nur einen Seitenblick zu, in dem alle «Weisheit des Ostens» lag, und ging zu Mrs. Yamamoto. Sie sprach japanisch mit ihm, und er leckte ihr die Hand. «Komm her, guter Tudor!» rief nun auch Don. Tudor wandte den Kopf ab und senkte die Augen, die beinahe schlitzäugig geworden waren. Als Warner Yamamoto etwas Japanisches zu ihm sagte, glitt er auf ihn zu.
Das dauerte etwa einen Monat und Mutter schlug natürlich vor, wir sollten Japanisch lernen, aber wir weigerten uns, und er wurde allmählich wieder normal.
Wenn ich jetzt einmal krank bin, bezieht Tudor Posten neben meinem Bett, und von Zeit zu Zeit springt er hoch, um mich zu küssen und dabei meinen Kaffee zu verschütten. «Wie rührend! Wie treu!» sagen die Leute dann. Aber ich weiß es besser. Er hat nur Angst, ich könne sterben, und wer sollte ihn dann an den Strand führen?
Tudor hat sein eigenes schönes und gut riechendes Hundekörbchen, aber er zieht es vor, eine Tracht Prügel mit dem Besenstiel zu riskieren und lieber auf allen Betten, Sofas, Sesseln und Couches zu schlafen, die nicht gerade mit spitzen Gegenständen ausgerüstet sind. Kleine Kinder knurrt er an, noch mehr ärgert er sich über Milchmänner, Wäschemänner und Nachbarn. Wenn sein Wassernapf
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