Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
Stück über dem Wasser, viel zu hoch, um je von ihm überschwemmt zu werden. Allerdings donnerte das Meer immer wieder mit einer Wucht gegen die Klippe, als würde es die Anwesenheit von Stein auf dieser flachen, sandigen Insel als Herausforderung betrachten, die es zu meistern galt.
Ich fragte mich, was zur Hölle diese Mistkerle mit mir vorhatten.
Ich hatte schon vorher Blasen gesehen, auf Cirkase. Die Küsten dieses Inselreiches sind größtenteils felsig, und an einer Stelle kracht das Meer gegen eine ebene Steinfläche und treibt das Wasser mit einer solchen Kraft durch darunterliegende unterirdische Gänge, dass der Boden erzittert. Und dann, mit einem großen Wuuusch, schießt das Wasser durch landeinwärts gelegene Löcher nach oben, so dass man glaubt, Wale würden unter den Steinen hausen …
Die Blase auf Gorthen-Nehrung war eine armselige Nachahmung derjenigen, die ich von Cirkase her kannte. Es gab einen unterirdischen Tunnel, ja, aber die Blase selbst – etwa zwanzig Schritt breit – war viel zu breit und tief, als dass das Wasser darin wirklich hätte » blasen« können. Es wogte einfach nur auf und sank dann wieder ab. Der Rand des Lochs befand sich etwa zehn Schritte über dem höchsten Wasserstand. Das Loch selbst war mehr oder weniger rund, die Seiten waren steil und glitschig von der Gischt und von grünen Algen. Niemand, der das Pech hatte, hier reinzufallen, würde jemals wieder rausklettern können.
Ich warf einen Blick hinunter und begann, Einwände zu erheben. » He, wartet – Ihr habt nicht den Auftrag, mich zu töten.« Ich versuchte, mich vom Rand wegzubewegen, aber einer der Männer hielt mich am Arm fest. » Wenn Ihr mich da reinwerft, werde ich verdursten und verhungern, ganz zu schweigen davon, dass ich an den Felsen zerschelle.«
Eine der Wachen gab ein freudloses Lachen von sich. » Du? Nicht doch! Der letzte Mann, den wir da runtergelassen haben, hat sechs Wochen überlebt, und er konnte nicht mal schwimmen. Und du kriegst ja auch was zu essen, bei jeder Ebbe. Und Wasser.« Er hob sein Schwert, zertrennte das Seil, das meine Hände zusammenband, und gab mir einen Schubs.
Ich bekam seinen Umhang zu packen, krallte beide Hände in den Stoff. Einen Moment lang taumelten wir beide über den Rand, während meine Füße über den Boden rutschten und er mit den Armen wedelte. Dann wurde er von einer der anderen Wachen festgehalten, damit er nicht mit mir zusammen über den Rand fallen konnte. Noch immer weigerte ich mich loszulassen. Eine andere Wache versuchte jetzt, meine Finger zu lösen, und dann kam noch jemand, der nicht so einfühlsam war. Er stieß mich weiter über den Rand, und plötzlich flog ich durch die Luft, hielt in den Händen nichts als einen Umhang.
Ich kam rücklings auf dem Wasser auf, und der Schock trieb mir die Luft aus der Lunge. Keuchend gelangte ich wieder an die Oberfläche.
Als ich wieder atmen konnte, reckte ich eine Faust nach oben, wo sie am Rand des Lochs standen und zu mir hinunterstarrten. Wären sie wahre Dunkelmagier gewesen, hätten sie gelacht. Aber vielleicht war es das, was wirklich schlimm war: Sie taten gar nichts. Sie sahen einfach nur zu, und meine Wut verwandelte sich in Mitleid. Ich glaube, in diesem Moment war ich zum ersten Mal in meinem Leben froh darüber, dass ich nicht mit der Silbbegabung geboren worden war. Nichts war das Risiko wert, so zu werden wie einer dieser armseligen bezwungenen Silbmagier mit ihrem Mangel an Leidenschaft und ihrer beinahe rätselhaften Grausamkeit. Sie waren wie Kinder, die etwas Falsches taten, aber zu jung waren, um den Frevel dessen, was sie taten, wirklich verstehen zu können.
Sie gingen weg, ohne noch ein einziges Wort zu sagen.
Und ich wandte mich meiner neuen misslichen Lage zu.
Es war nicht so schlimm, wie ich zuerst gedacht hatte. Ich stellte fest, dass ich tatsächlich jedes Mal, wenn das Wasser zurückschwappte, den Boden mit den Füßen berühren konnte, obwohl zu diesem Zeitpunkt Flut herrschen musste. Schwieriger war es, nicht gegen die Wand des Lochs geschleudert zu werden, wenn das Wasser herein- und herausströmte; ich musste darauf achten, in der Mitte des Teiches zu bleiben. Mir war klar, dass es im Dunkeln sogar noch schlimmer werden würde.
Ich versuchte herauszufinden, wie lange es bis zur nächsten Ebbe dauern würde, damit ich wusste, wann ich etwas zu essen bekam. Aber die Abfolgen der Gezeiten in den Doppelmondmonaten waren besonders kompliziert, und ich war mit den
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