Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
Bei Sonnenuntergang draußen auf dem Marktplatz.«
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, aber ich wurde von der Woge ihrer Gefühle erfasst, die mich an Ort und Stelle bannten: Furcht, Entsetzen, Verbitterung und Fügung. Das alles konnte ich beim Atmen hinten in meiner Kehle schmecken. Noch immer im Schock sagte sie dann schließlich: » Was soll’s? Hier in der Zelle zu hocken is jedenfalls kein Leben, zumindest nich für jemanden, der auf der Himmelsebene geboren is.«
Plötzlich spürte ich, dass ich fragen musste. Ich brauchte Antworten. Ich wollte es unbedingt verstehen. » Oh, bei der Schöpfung – warum nur, Jastriá, warum ?« Was hatte sie dazu veranlasst, mich zu verlassen? Jenen sicheren Ort zu verlassen, den ich für sie inmitten des Gestanks und Drecks an der Küste geschaffen hatte? Was hatte sie so desillusioniert, dass es sie nicht einmal mehr kümmerte, wenn sie starb? Sie war erst neunundzwanzig Jahre alt!
Sie sah mich mit einem Blick an, der dem Mitleid sehr nahe kam. » Ich hab’s nich ausgehalten, Kel. Ich musste ich selbst sein, nich die Dickmilch, die in die Form gegossen wird. Nich so wie alle anderen. Da is ein Teil in dir, der das verstehen kann, oder? Deshalb hab ich dich geheiratet!«
Ich starrte sie an und fragte mich, ob ich sie wirklich verstand. Vielleicht hatte Jastriá mehr in mir gesehen, als wirklich vorhanden gewesen war: Vielleicht hatte sie eine verwandte Seele in mir gefunden, die ihrer Wildheit gleichkam. Sie dachte, ich hätte das gleiche rebellische Herz gehabt wie sie. Aber ich war kein Rebell, ganz und gar nicht. Ich wollte die Formen nicht zerbrechen; ich wollte neue erschaffen. Ich wollte nicht gegen die Ältesten unseres Tharns kämpfen; ich wollte ihre Zustimmung, um neue Wege beschreiten zu können. Ich zog keine Befriedigung daraus, meine Familie zu schockieren und jene zu verletzen, die mich liebten. Alles, was ich wollte, war, einen Weg zu finden, wie ich innerhalb der Begrenzungen leben konnte, ohne nebelwahnsinnig zu werden. Ich wollte das Dach von Mekaté zu einem Ort machen, an dem alle besser leben konnten. Jastriá hatte ihn zerstören wollen. Sie hatte mich als rückgratlos bezeichnet. Ich hatte sie als rücksichtslos bezeichnet. Sie hatte gesagt, ich wäre ein Tier, das so tot war, dass es nicht mehr gehäutet werden könnte. Ich hatte gesagt, dass sie wie das Junge eines Graslöwen war, das den Mond anbrüllte und wirklich glaubte, er würde dadurch zerbrechen.
Und doch passte auch ich nicht in die Form, die für den durchschnittlichen Selberhirten der Himmelsebene vorgesehen war. Ich war Arzt, Kräuterspezialist und Wundarzt, ausgebildet von meinen Großeltern und meinen Eltern und meinem Onkel. Ich reiste über die Himmelsebene – wie alle aus meinem Haus – und half Babys, auf die Welt zu kommen, versorgte Kranke, vernähte Wunden, verschrieb Heilmittel. Von der Zeit an, da ich alt genug gewesen war, um den ersten Tagaird und Dolch tragen zu können, hatte ich meinen Onkel zur Küste begleitet, um die Mittel und Pflanzen zu kaufen, die wir verwendeten. Als Erwachsener hatte ich ein großes Interesse an dem Zusammenspiel zwischen Medizin und der Nutzung von Heilkräutern entwickelt, und ich hatte die Erlaubnis von den Ältesten meines Tharns erhalten, zur Küste zu gehen, wann immer ich wollte, um nach notwendigen Bestandteilen zu suchen. Ich erhielt sogar einen Teil des Schatzes der Himmelsebene – des Goldes –, um dies tun zu können. Und so hatte ich getan, was nur wenigen Hochländern möglich war: Ich reiste. Sicher, ich hatte die Insel Mekaté nie verlassen, aber ich war der Enge, die ein Leben in der Himmelsebene mit sich brachte, auf eine Weise entkommen, wie es nur wenigen möglich war. Dieses Entkommen war es gewesen, das mich bei Verstand gehalten hatte.
Nach unserer Heirat hatte ich Jastriá natürlich mitgenommen, in der Hoffnung, dass sie dadurch von ihrer Unruhe und ihrer Unzufriedenheit geheilt werden würde. Aber nichts vermochte Jastriá zufriedenzustellen. Waren wir an der Küste, war sie verächtlich und verletzend, aber wann immer wir wieder nach Wyn zurückkehrten, kämpfte sie dort gegen alles und jeden. Ich versuchte, es zu verstehen, und ein Teil von mir verstand es auch. Der Rest allerdings rief ihr einfach nur zu: Wieso kannst du nicht mit dem zufrieden sein, was wir an Gutem haben? Wieso kannst du dich nicht ein klein wenig anpassen, um das zu bewahren, was wirklich wertvoll ist? Wenn alle tun und lassen
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