Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
bereitet, dass ich Morthred die Kehle mit bloßen Fingern hätte herausreißen können, hätte ich nur die Gelegenheit dazu gehabt.
Niemand allerdings sah in Gilfeder, dem Arzt der Himmelsebene, den rachedurstigen Erzfeind von Morthred, dem Dunkelmeister. Wenn alles gut lief, würde meine Rolle klein bleiben. Zumindest hofften wir das alle. Unruhig befingerte ich den einzigen Gegenstand, den ich offen bei mir tragen durfte – nur für den Fall. Es war Xetianas Fernrohr, eine schwere Messingröhre von der Länge meines Armes, die in weichen Filzstoff gehüllt war. Der Turmherr hatte es selbst als mögliche Waffe vorgeschlagen, nachdem ich erwähnt hatte, dass es eine Möglichkeit wäre, den Dunkelmeister erst bewusstlos zu schlagen und dann zu töten, wenn wir sichergehen wollten, dass er nicht jemanden mit seiner Dunkelmagie angriff. Jetzt, da ich das Fernrohr hatte, fürchtete ich jedoch, es könnte damit enden, dass ich es fallen ließ oder etwas ähnlich Unbeholfenes damit anstellte.
Gleich nach dem Frühstück vergrößerte sich die königliche Gruppe durch ein paar der etwas wichtigeren Würdenträger der Pfeiler, darunter Xetianas Verlobter Yethrad, der auch der Herrscher vom Stichpfeiler war. Man zog sich auf den Balkon zurück, von dem aus man auf den Palasthof sehen konnte. Ich folgte ihnen zusammen mit den anderen Wachen. Der Sekuria, Shavel, wölbte fragend eine Braue, aber ich schüttelte den Kopf. Noch hatte ich nicht die geringste Besorgnis in Morthred wahrnehmen können. Soweit ich erkannte, verströmte er lediglich einen selbstgefälligen Geruch des Triumphes. Nach all den Jahren, die er als deformierter, machtloser Mann außerhalb der Machtstruktur der Inseln in Armut gelebt hatte, genoss er es jetzt, sich als gutaussehender Adeliger feiern zu lassen. Er genoss Xetianas Liebenswürdigkeit. Er genoss die verschämten Blicke ihrer Hofdamen. Er genoss sowohl die unterschwellige Ehrerbietung als auch die offene Schmeichelei. Ich musste den Wunsch unterdrücken, den Mann auf der Stelle zu töten.
Die ersten Teilnehmer an dem Wettkampf, alles Frauen, liefen im Hof unterhalb des Balkons umher. Die Silbbegabten trugen rote Schärpen; ansonsten waren alle ziemlich gleich gekleidet: Sie trugen Hosen, die über dem Knie endeten, und eng anliegende langärmelige Oberteile. Ich spürte eine Woge von sexuellem Interesse in Morthred aufsteigen, aber überraschenderweise wenig davon bei allen anderen. Die Leute von Xolchaspfeiler waren daran gewöhnt, Frauen beim Schwimmen zu sehen; solche Kleidungsstücke waren für sie völlig normal.
Als Zeichen der Ehre lud Xetiana Gethelred ein, den Wettkampf der Frauen zu eröffnen, was dadurch geschah, dass ein riesiger Messinggong geschlagen wurde, der auf einem Holzständer auf dem Balkon befestigt war. Die Zuschauer wurden still, als der Mann mit dem wattierten Trommelstock in der Hand auf das Instrument zutrat. Beim dritten Schlag brach Jubel aus, und die Gruppe der Wettkämpferinnen drängte die Straße entlang.
Xetiana drehte sich lächelnd zu Gethelred um. » Mein Herr«, sagte sie, » es ist Brauch, dass wir jetzt auf die Dächer zu einem Aussichtspunkt gehen, von dem aus wir einen Teil des Abstiegs an der Felswand sehen können.« Sie bot ihm ihren Arm an. » Vielleicht wärt Ihr so freundlich, mich zu begleiten?« Sie lächelte, zog ihren Kopf ein kleines bisschen ein und blickte mit einem bezaubernden Augenaufschlag zu ihm auf.
Bei den Himmeln, dachte ich, während ich den beiden in zwei bis drei Schritten Abstand folgte, sie hat wirklich Mut, diese Frau!
Es dauerte zwanzig Minuten oder sogar noch länger, bis wir alle an der Stelle angekommen waren, die uns über eine Bucht hinweg klare Sicht auf die Felswände der anderen Seite gewährte. Hier befand sich eine Plattform mit gepolsterten Sesseln für die wichtigsten Gäste, die von einem Geländer umgeben war, damit niemand in die Tiefe stürzen konnte. Die Wettkampfteilnehmer kletterten bereits an der gegenüberliegenden Felswand nach unten, als wir die Plattform erreichten; unter ihnen auch die drei umgewandelten Silbinnen, die an ihren roten Schärpen leicht zu erkennen waren.
» Ah«, sagte Xetiana erfreut zu Gethelred, » Eure Silbbegabten haben sich entschieden, ebenfalls die Felswand hinunterzuklettern. Ich dachte, sie würden vielleicht den Pfad nehmen.«
» Sie sind vom Wahrer-Rat ausgebildet worden«, sagte er höflich. » Eine Felswand hinunterzuklettern ist für sie keine große
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