Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
blinzelte in die Richtung, wo die Wettkämpfer rannten. » Ich weiß es nicht. Vielleicht eine von Euren Silbinnen?«
» Kann ich Euer Fernrohr haben?«
» Ja, natürlich.« Yethrad reichte ihm das Messinginstrument. » Es funktioniert am besten, wenn man es irgendwo abstützt. Ich benutze das Geländer dazu.«
Während ich hinter den Männern stand, versuchte ich zu erkennen, von welchen Wettkämpfern sie sprachen. Und dann erstarrte ich vor Schreck. Es war Glut. Ich brauchte kein Fernrohr, um sie zu erkennen. Sie lief hinter einem Mann her, der gerade auf den Krümel springen wollte. Ich sog die Luft ein und stellte fest, dass sie nach den Gefühlen des Dunkelmeisters schmeckte. Es war alles da: Misstrauen, eine Woge von unterdrücktem Hass, und eine Wut, die so kalt war wie der Mitternachtsregen.
Ohne Yethrads Rat bezüglich des Geländers zu beherzigen hatte Morthred das Fernrohr an die Augen gehoben. » Dieses Miststück!«, spuckte er brodelnd vor Hass aus. » Wie hat sie das jetzt schon wieder überlebt?«
Yethrad starrte ihn überrascht an.
Ein Windstoß riss mir meinen Hut vom Kopf und wehte ihn über den Klippenrand. In diesem winzigen Moment begriff ich, dass es sinnlos war, irgendwelche Hilfe von den Bogenschützen zu erwarten. Ich wickelte das Fernrohr des Inselherrn aus und packte es am schmaleren Ende, während ich mit dem schwereren so kräftig wie möglich auf den Hinterkopf des Dunkelmeisters schlug. In dem gleichen, winzigen Moment raste eine Woge von Dunkelmagie nach vorn, die so riesig war wie die Dünung einer Sturmbrandung. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich roch sie. Mein Schlag war zu spät gekommen, um seine rasende Magie noch aufhalten zu können.
Der Dunkelmeister fiel nach vorn und stürzte gegen das Geländer. Ich hatte gedacht, mein Schlag wäre kräftig genug gewesen, um ihn zu töten, aber ich roch seinen Tod nicht. Und die Welt um mich herum schien wahnsinnig zu werden. Menschen sprangen von ihren Plätzen auf und versuchten, der Dunkelmagie zu entkommen, die Morthred ausspuckte. Stühle flogen durch die Luft, als wären sie aus Papier. Das Geländer zerbrach, und die dekorativen Fähnchen lösten sich auf, von einer Flamme verzehrt, die keinen logischen Ursprung hatte. Der Hauptmann der Wache wurde über die Plattform geschleudert und von einer unsichtbaren Woge der Dunkelmagie zu Boden gedrückt. Er rutschte über das Pflaster, wurde dabei immer schneller, bis er unter dem Geländer hindurchrutschte und in der Leere über dem Dünnhals verschwand. Ich verlor ihn aus dem Blick, aber sein Schrei hallte noch um einiges länger in meinem Kopf wider.
Yethrad war in dem Moment aufgesprungen, als er mich hatte zuschlagen sehen; in seinem Gesicht stand ein Ausdruck des Entsetzens. In ihrer Launenhaftigkeit war die Dunkelmagie an ihm vorbeigestrichen, und ich war es, der seine Aufmerksamkeit erregte, nicht der Schaden, den die Magie angerichtet hatte. Ich war verzweifelt bemüht, Glut zu retten. Ich wollte Morthred noch einen weiteren Schlag versetzen, aber Yethrad packte mich am Arm und riss mir das Fernrohr aus der Hand. » Was soll das?«, fragte er, und es war klar, dass er noch vollständig fassungslos war. Ich schob ihn weg von mir und griff nach meinem Dolch. Leute schrien, rappelten sich auf und versuchten zu fliehen. Sie rochen die Magie nicht und sahen sie nicht, aber sie wurden von der unvorhersehbaren Dunkelmagie hin und her geschleudert, als wäre es etwas Greifbares. Yethrad glotzte mich an. » Was bei allen Windhöllen … Wachen !« Er benutzte das Fernrohr als Knüppel und schlug mir damit aufs Handgelenk. Mein Dolch flog durch die Luft.
Niemand war da, um auf seinen Ruf zu antworten. Die Wachen wurden in alle Richtungen davongewirbelt. Ich sah, wie einige über das Geländer flogen; andere wurden einfach zurück auf die Dächer geschleudert und taumelten durch die Luft wie Distelwolle im Wind. Dann wurde Yethrad selbst von einer Ladung Dunkelmagie getroffen und auf die Aussichtsplattform zurückgeschleudert, als würde er nicht das Geringste wiegen. Ein Blick um mich herum verriet mir, dass niemand mehr stand. Bei der Schöpfung, dachte ich entsetzt, der Mistkerl hat sie alle getötet!
Ich wirbelte herum und suchte nach meinem Dolch, wobei ich einen Blick auf Glut riskierte. Sie stand auf dem Krümel; ihre Haare hatten sich gelöst und wurden vom Wind hin und her gepeitscht. Der Mann, den sie gejagt hatte, lag zu ihren Füßen, und sie hielt das Schwert mit der
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