Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
als ich mir all das vorstellte, was am Tag zuvor passiert sein musste. Überall auf den Ruhmesinseln. » Bei der Schöpfung, Glut«, flüsterte ich, » eine vom Himmel fallende Leiche kann sehr viel Schaden anrichten. Gestern sind nich nur Dunstige gestorben.« Ich machte eine hilflose Geste. » Da waren noch andere im Krankenhaus.«
Sie senkte den Blick und sah auf unsere gefalteten Hände. » Ich weiß.«
» Und die Flosse. Ich habe Morthred nich schnell genug getötet, um die Menschen auf der Flosse zu retten. Wie … wie soll ich damit leben?« Wie kann ich mit dieser Schuld leben?
Sie schwieg eine Weile, ehe sie antwortete. » Du hast getan, was du tun konntest«, sagte sie dann. » Wie kann irgendwer mehr tun als das?«
Unsere Blicke begegneten sich und klammerten sich aneinander. Dann fragte ich sie ruhig: » Glut, hast du gewusst, was geschehen würde?«
Sie schüttelte den Kopf. » Ich habe Ruarth gefragt. Natürlich habe ich das getan. Und auch Flamme hat ihn gefragt. Glaubst du, wir haben nicht schon längst an so etwas gedacht? Er hat uns gesagt, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Er hat Flamme gesagt, dass es langsam genug vonstattengehen würde, so dass ein Dunstiger, der sich noch in der Luft befindet, Zeit genug haben würde, um nach unten zu schweben und irgendwo zu landen.« Sie sah unglücklich zu Boden. » Sie hat ihm geglaubt. Ich war nicht ganz so überzeugt. Sie sind auf einen Schlag zu Vögeln geworden; wieso sollten sie sich nicht auf die gleiche Weise zurückverwandeln? Er hat später allein mit mir gesprochen und mir gesagt, viele Dunstige würden glauben, dass sie niemals etwas anderes sein würden als Vögel. Sie selbst waren nicht durch Dunkelmagie verwandelt worden, verstehst du, nur ihren Großeltern und Urgroßeltern war es so ergangen, und diese Generationen waren tot. Also glaubten viele Dunstige, dass Morthreds Tod zwar die Inseln zurückbringen würde, sie selbst sich jedoch nicht verändern würden, da sie ja bereits als Vögel geboren worden waren.«
» Und sie haben sich geirrt.«
» Ja, sie haben sich geirrt.« Sie senkte den Blick. » Ruarth hat mir gegenüber einmal erwähnt, dass alle Dunstigen darauf vorbereitet sind zu sterben, damit das menschliche Volk der Dunstigen nach Hause zurückkehren kann. Ich habe damals nicht viel darüber nachgedacht, aber jetzt glaube ich, dass er genau das meinte. Auch wenn sie in dem Moment, da Morthred gestorben ist, ebenfalls gestorben sind, so waren sie darauf vorbereitet, das zu akzeptieren. Aber sie konnten nicht aufhören zu fliegen. Sie waren Vögel. Es wäre genauso, als würden wir uns vornehmen, nicht mehr zu gehen, nur weil uns das töten könnte.«
» Er hat mir gesagt, dass er Morthred selbst töten würde, wenn er könnte. Und dass ich nich zurücksehen sollte. Ich wusste damals nich, was er damit meinte. Aber er wusste zu dem Zeitpunkt bereits, dass ich möglicherweise derjenige sein würde, der den Dunkelmeister tötet.«
» Weise Worte.« Sie sah mir wieder in die Augen. » Kel, wenn er es akzeptieren konnte, dann müssen wir es auch tun.«
Ich glaube, das war immer eines der Dinge, die ich an Glut besonders schätzte: ihre schonungslose Ehrlichkeit. Sie kleidete Dinge nie in schöne, geheuchelte Worte. Sie sind gestorben, Kel. Lerne, damit zu leben. Und das habe ich versucht. Seit fünfzig Jahren versuche ich es …
» Was glaubst du, was is mit ihm passiert?«, fragte ich sie.
» Mit Ruarth? Thor und ich und Dek, wir sind überall gewesen und haben gesucht. Auch wenn wir ihn vielleicht nicht wiedererkennen, Sucher würde ihn finden.«
» Und?«
» Da war ein Dunstiger, der die Felswand hinunter nach Xolchashaven geflogen ist, als Morthred starb. Einige Leute haben ihn auf die Felsen stürzen sehen, und dann hinunter ins Meer. Seine Leiche wurde nicht gefunden, aber es besteht kein Zweifel daran, dass der Sturz ihn getötet hat. Wir … wir vermuten, dass es wahrscheinlich Ruarth war.«
» Wieso? Was bringt euch auf diese Idee?«
» Er wäre Flamme gefolgt.«
Und dann erinnerte ich mich, warum wir überhaupt hier waren. » Flamme?«, fragte ich, etwas erstaunt darüber, dass ich sie die ganze Zeit über vergessen hatte. » Wo is Flamme? Wie geht es ihr?«
Glut zögerte, und ich roch Anspannung. Kummer.
Eine weitere Woge des Entsetzens spülte über mich hinweg. Ein weiterer Moment, in dem ich die Wahrheit nicht wissen wollte. In dem ich nicht fähig war, das Unerträgliche zu akzeptieren. » Oh,
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