Die Inseln des Ruhms 3 - Die Magierin
frieren. Mord. Lieber Gott. » Gestorben? Und woran?«, fragte ich. Ich musste mich regelrecht zwingen, diese Worte zu sagen.
» Wir glauben, dass es ne Art Blutvergiftung war«, sagte Kelwyn. » Unglücklicherweise is die Familie nich sehr gut auf uns zu sprechen, so dass sie uns nich gestattet, eine Autopsie durchzuführen.«
» Eine was?«, fragte ich. Mein Verstand war wie benebelt; ich konnte kaum etwas aufnehmen von dem, was gesagt wurde.
» Eine Untersuchung des Körpers, um die Todesursache festzustellen. Bei uns auf der Himmelsebene machen wir so was routinemäßig.«
» Und ein anderer von den sieben ist krank«, fügte Reyder hinzu. » Wir müssen die Tatsache akzeptieren, dass unser Mittel mehr tut als heilen– es tötet.«
» Das ergibt keinen Sinn«, murmelte Garwin. » Und ich glaub’s auch nich. Wenn das, was wir von der Nachgeburt genommen haben, tödlich is, wie konnte dann die Mutter überleben, ganz zu schweigen vom Säugling?«
» Vielleicht haben wir es irgendwie verunreinigt«, schlug Kelwyn vor. Sein Gesicht war aschfahl, und die Sommersprossen sahen aus wie Flecken. Seine Haare wirkten als Folge seiner Angewohnheit, ständig mit den Händen hindurchzufahren, sogar noch wilder als sonst.
» Das is unmöglich«, knurrte sein Onkel. » Denkt nur an all die Vorsichtsmaßnahmen, die wir ergriffen haben. Nein, da war keine Verunreinigung im Spiel. Vielleicht is es ein Zufall.«
Ich saß schweigend da und lauschte, während sie über den Fall diskutierten. Das Atmen fiel mir schwer. In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so schlimm gefühlt. Ein Mann war tot, weil ich ihn identifziert hatte. Er war ermordet worden. Ermordet worden auf Anweisung der Regierung, die ich erklärtermaßen respektierte und der ich diente. Und ich war so dumm gewesen, dass ich es nicht hatte kommen sehen, auch wenn überall entsprechende Zeichen vorhanden gewesen waren. Ich leckte mir die trockenen Lippen. Und die anderen sechs…? Würde es sie retten, wenn ich zugab, was geschehen war?
Meine Gedanken rasten weiter, und ich fühlte mich immer elender. Wenn ich ihnen die Wahrheit sagte, war die Silbmagie– und damit auch der Wohlstand der Wahrer-Inseln– dem Untergang geweiht. Wenn ich schwieg, würde Reyder die Experimente abbrechen, weil er davon ausging, dass sie Menschen umgebracht hatten. Sollte ich meinem Land und meinen Mit-Silben dienen– und Morde zulassen? Oder sollte ich meiner Religion und dem, was moralisch richtig war, dienen und dabei helfen, eine einzigartige Lebensweise zum Verschwinden zu bringen? Ich wusste, was Jesenda sagen würde. Und ich liebte sie. Wenn ich den Wahrer-Rat und ihren Vater verriet, konnte ich wohl kaum noch erwarten, dass sie mich lieben würde. Dass sie mich heiraten würde.
Wenn Kelwyn und Garwin nur nicht so mit sich selbst beschäftigt gewesen wären, so erregt über sich selbst, hätten ihre eigenen Gefühle nicht ihre Nasen überschwemmt, und sie hätten den Gestank meiner Schuld riechen können.
Im Nachhinein frage ich mich, was für ein Mensch ich damals war. Wie hatte ich nur die Entscheidung treffen können, die ich getroffen habe? Ich habe nicht den Eindruck, als könnte es eine moralische Rechtfertigung dafür geben. Ich habe zugelassen, dass sechs weitere Leute starben, weil ich von einer Frau träumte, einer leidenschaftlichen, sinnlichen, unberechenbaren Frau, die ich so verzweifelt gern heiraten wollte. Weil ich von ihrem Vater respektiert werden wollte. Weil ich dachte, dass ich als Silbbegabter den anderen Silben gegenüber loyal sein müsste. Weil die Wahrer-Inseln mein Zuhause waren, und ihr Wahrerherr mich darum gebeten hatte. Ich redete mir ein, dass sie wie die Wachen der Inselreiche waren, die im Dienst ihres Volkes starben, das sie schützen sollten. Dass das hier nichts anderes war.
Natürlich war es etwas anderes. Es war so sehr etwas anderes, wie Vergewaltigung sich von einem Akt einvernehmlicher körperlicher Liebe unterschied. Im Lichte meiner jetzigen Weisheit betrachtet weiß ich nicht, warum ich das nicht erkennen konnte.
Kelwyn Gilfeder hat gesagt, dass die Risswunden der Schuld ihre Spuren im eigenen Leben hinterlassen. Er hat recht gehabt. Ich habe für meine Blindheit bezahlt. Und bis zum heutigen Tag denke ich, dass ich noch einmal dafür bezahlen werde, wenn ich schließlich meinem Schöpfer begegne. Es wäre nur gerecht.
Nachdem ich das Synodengebäude am nächsten Tag verlassen hatte, kehrte ich nicht mehr zurück.
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