Die Inseln des Ruhms 3 - Die Magierin
uns auf der Welle nach oben, rasten dem Kamm entgegen. Ich dachte, wir würden abheben, würden in die Luft hinaufschießen, ein flügelloser Sturmtaucher, der zum Ertrinken verurteilt war. Elarn brüllte etwas, aber ich verstand nicht, was er sagte. Mein Ruder grub sich nicht mehr ins Wasser. Tatsächlich schien überhaupt kein Wasser mehr unter uns zu sein. Es war alles hinter Elarn, oder es taumelte über ihm, kurz davor zu stürzen und uns aus diesem Dasein zu befördern. Es brodelte, es zischte, es drohte. Es war ganz sicher lebendig und darauf aus, uns Sterbliche, die wir es wagten, es herauszufordern, zu verschlingen. Wir waren Insekten auf der Haut eines Tieres, das wir nicht beherrschen konnten. Eine Reizung, die beiseitegewischt werden musste.
Aber das Wasser stürzte nicht nach unten. Wir waren da, hingen schwebend in der Welle, nur aufgehängt– zumindest kam es mir so vor– an Elarns Streichruder. Marten neben mir betete, seine Lippen bewegten sich, aber die Worte wurden vom Wind weggerissen. Wir rasten auf der Flutwelle vorwärts, auf dem ältesten Kind des Walkönigs, dem Vorläufer seines sogar noch größeren und wüsteren Vaters, der in genau zwölf Stunden erwartet wurde.
Elarn grinste mich an. Der Mann war aufgekratzt; er wirkte durch die Gefahr lebendiger. » Jetzt wisst Ihr, dass Ihr wirklich lebt, Hochländer«, rief er. » So einen Ritt werdet Ihr nie wieder erleben.«
Ja, dachte ich. Weil ich den hier nicht überleben werde.
Am besten erinnere ich mich an die Intensität dieser Nacht, schätze ich. Wenn man jeden Augenblick am Rand des Todes lebt und weiß, dass nur ein kleiner Ausrutscher genügt, um das eigene Leben zu beenden, gewinnt alles einen äußerst klaren Fokus und gräbt sich in das Gehirn ein. Ich kann diese Nacht immer noch nacherleben, jeden einzelnen Augenblick. Die Gerüche sind immer noch bei mir: die Süße der Silbmagie, der Tod um uns herum– der Seetang, der aus seinen Betten gerissen wurde, das ertrunkene Vieh, die zerschmetterten Seekreaturen. Der Geruch der Flut, des aufgewühlten Ozeans. Regengetränkte Luft, gesättigte Wolken, knisternde Blitze. Eine Welt in Aufruhr.
Die Rinne wurde schmaler und breiter und wieder schmaler; Sandbänke und verborgene Teiche und Felsen, die Biegungen und Kurven– all das veränderte die Natur der Welle, oder auch ihre Geschwindigkeit. Schien eben noch alles sicher zu sein, konnte die Flutwelle um uns herum mit beängstigender Plötzlichkeit in sich zusammenbrechen, zu weiß wirbelndem Wasser werden, einem brodelnden Wahnsinn. Es gab Augenblicke, da rettete uns nur die Kraft unserer Arme und Rücken, und Elarns Silbmagie, die das Boot gerade hielt und dafür sorgte, dass es nie den Kontakt zur Welle verlor. Manchmal schien es, als gäbe es nicht nur diese eine Welle, sondern ein ganzes Feld von Wellen, von denen jede einzelne erregt und wütend und darauf aus war, uns zu verschlingen. Und wenn ich gerade gedacht hatte, dass wir die richtige Mischung aus Muskelkraft und Kenntnissen und Position hatten, veränderte sich schon wieder alles.
Wenn jemand anderes das Streichruder bedient hätte, wären wir schon hundertmal früher gescheitert, als wir es dann tatsächlich taten. Elarn war zwar unerfahren, aber er konnte seinen Instinkt mit der Magie verbinden, und dieser Instinkt war es, der uns wieder und wieder rettete. Während ich ihm zusah, wusste ich, dass dieser Mann nicht mehr der Junge war, dem ich ein paar Monate zuvor begegnet war. Damals war er oberflächlich gewesen, mit sich selbst beschäftigt, hatte mit seinen Lenden gedacht, hatte sich von der Welt gekränkt gefühlt und leicht durch das Lächeln einer Frau aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Als er verraten worden war, hätte er verbittert und zynisch werden können. Er hätte sich entscheiden können, den Verrat als Ausrede dafür zu nutzen, niemandem mehr zu trauen und sich um niemanden mehr zu kümmern. Stattdessen war er mit einer Geschwindigkeit älter geworden, mit der die meisten jungen Männer nicht hätten mithalten können. Seine Entscheidung, die Nabe zu warnen und sich Reyder selbst entgegenzustellen, war natürlich sein Versuch, die Todesfälle zu sühnen, die er verursacht hatte. Deswegen dachte ich aber nicht geringer von ihm. Und ich dachte auch nicht geringer von ihm, weil er die Gefahr genoss; ich konnte auch seine Angst riechen. Er hatte Angst, und er stellte sich dieser Angst wieder und wieder auf diesem wilden Ritt. Und nicht ein einziges
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