Die Inselvogtin
umdrehen, dachte der Weiße Knecht, wenn er sehen könnte, was nun daraus geworden war.
Dagegen hatten die Rebellen in der Pfefferstraße gekämpft. Und deshalb hatte einer von ihnen seine Freiheit eingebüßt. Jener Mann hatte keinem erzählt, was ihm im Gefängnis angetan worden war. Aber er war seitdem nicht mehr derselbe. Früher hatte er als freier Bauer seinen Lebensunterhalt verdient und im Winter den Deich bei Dornum ausgebessert, wenn es nötig war. Die Zeit hinter Gittern hatte ihn altern lassen, er ging nun gebeugt und fegte die Straßen von Esens. Aber seine innere Stärke hatte er behalten.
Die Männer hier hatten sich für den Widerstand entschieden, aber dennoch die Zusammenarbeit mit den Renitenten in Emden abgelehnt. Sie waren eben wirkliche Freiheitskämpfer und trachteten nicht danach, lediglich die Herrscher auszuwechseln. Die Emder machten gemeinsame Sache mal mit Holland und mal mit den Preußen, um ihr Ziel zu erreichen. In den Augen des Weißen Knechts beriefen sie sich zwar auf die friesische Freiheit, doch in Wahrheit sicherten sie nur ihre Positionen, falls die Gegner Ostfrieslands eines Tages die Herrschaft übernahmen. Das war nicht mutig, das war nicht der Kampf, den er anstrebte.
»Das Problem ist nur, je schwächer der Fürst wird, desto stärker ist der Kanzler!«, gab er nun zu bedenken, trank einen Schluck aus seinem Krug und wischte sich mit seinem zerfledderten Ärmel über die Lippen.»Viel Zeit bleibt uns wahrscheinlich nicht.«
Jetzt waren sie wieder beim Thema. Es ging um den Plan, den er in den letzten Tagen ersonnen hatte und der so bald wie möglich in die Tat umgesetzt werden sollte. Er stellte sich aufrecht hin und sah ernst in die Runde.
»Es wird Zeit zu handeln. Bevor Georg Albrecht stirbt und Kanzler Brenneysen die ganze Macht an sich reißt, sollten wir die Sache wagen.«
Alle stimmten kopfnickend zu. Sie hörten auf das, was der Weiße Knecht sagte.
Ihr Anführer wusste um seine Wirkung. Er war groß, stark und hatte dunkle Augen, die eng zusammenlagen und im Kontrast zu seinem hellen, zusammengebundenen Haar und der von ihm gewählten weißen Kleidung standen. Er war eine wilde Mischung aus friesischem Stolz und fremdländischer Bedrohung. Wenn man ihn nach seinem Stammbaum fragte, um seinem ungewöhnlichen Aussehen auf die Spur zu kommen, dann schwieg er. Seine Herkunft ging niemanden etwas an, genauso wenig wie sein wirklicher Name. Er war jetzt und heute der Weiße Knecht. Und wenn der Kampf irgendwann einmal gewonnen war, dann würde er sich einen neuen Namen suchen. Und ein neues Leben beginnen. Er hatte keine Angst, unbekannte Wege einzuschlagen. Seit er geboren war, hatten sich die verschiedenen Zeiten zusammengesetzt wie ein Flickenteppich. Die Kindheit, die frühen Erwachsenenjahre und das Jetzt hatten nichts miteinander zu tun, und doch ergaben sie in ihrer Gesamtheit eben sein Leben. Er war schon Mitte zwanzig, und obwohl er weder ein Weib noch ein Kind und auch kein Haus sein Eigen nannte, hatte er es weit gebracht. Immerhin war er eine wichtige Figur in einer politischen Auseinandersetzung. Und diejenigen, die mutig genug waren, dafür ihr Leben zu riskieren, hatten ihn als Anführer gewählt und vertrauten auf seine Erfahrung.
»Erzähl uns deinen jüngsten Plan!«, forderte der Straßenkehrer.»Wie willst du an den Jungen herankommen? Er ist, soweit ich weiß, besser bewacht als die Juwelen des englischen Königshauses.«
»Und genau darin liegt unsere Möglichkeit «, antwortete der Weiße Knecht.»Keiner seiner Schritte ist ungeplant. Wenn wir wissen, wohin seine Minister ihn schicken, ist es ein Leichtes für uns, ihn zu schnappen.«
»Aber er hat immer einen Pulk Soldaten um sich geschart.«
»Das mag sein. In Georg Albrechts Sohn liegt immerhin die Zukunft Ostfrieslands. Wie ihr wisst, gibt es diese Klausel: Sollte das Fürstengeschlecht der Cirksena in der männlichen Linie aussterben, so fällt unsere Heimat in die Hände anderer Herrscher.«
Der Straßenkehrer nickte.»Derzeit haben die Weifen und die Preußen ihre Fühler nach dem Fürstentitel ausgestreckt. Aber man munkelt, Fürstin Sophie Caroline schaut sich schon jetzt nach einer Schwiegertochter um, damit genug Zeit bleibt, einen Nachfolger zu zeugen.«
»Dabei ist der Thronfolger doch gerade erst dreizehn Jahre alt geworden!«, wusste einer der Männer, der als Kutscher für das Fürstenhaus arbeitete.»Bei der Festlichkeit zu seinem Geburtstag hat der Zuckerbäcker seine
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