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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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wird.«
    »Und wie erfahren wir die richtige Uhrzeit?«
    Der Weiße Knecht zögerte kurz.»Ich habe Kontakt zu einer Person im Waisenhaus. Sie wird mir ein Zeichen geben. Und dann können wir uns auf den Weg machen.«
    »Aber wenn wir uns schon vorher versammeln, könnte jemand Verdacht schöpfen.«
    »Da hast du recht, Straßenkehrer. Wir müssen aus allen Himmelsrichtungen kommen. Und wir sollten unterschiedliche Kleidung tragen. Lumpen und Hemden, Röcke und Hirtenfell. Dann wird niemand auf den Gedanken kommen, dass wir eine Gruppe sind. Zugreifen können wir allerdings erst, wenn die Stadtwache außer Sichtweite ist. Ich schlage vor, wir bleiben in Sichtweite des Herdetors.«
    »Und wann genau sollen wir dort eintreffen?«
    »Der Tag steht noch nicht fest. Aber wenn euch meine Nachricht erreicht, dann treffen wir uns, wenn St. Magnus sechs Uhr geschlagen hat.«

6
    E ine Freundin zu haben war etwas ganz Neues für Maikea. Auf Juist war sie mehr ihre eigenen Wege gegangen, vielleicht, weil sie sich immer so sehr von den anderen Kindern unterschieden hatte.
    Doch mit Jantje war es etwas anderes. Zwar war das Mädchen erst zehn und liebte es, mit ihrer Puppe zu spielen und Süßgebäck zu knabbern. Zudem hatte sie andere Vorstellungen vom Leben: Ihre Mutter arbeitete am Fürstenhof, also war es Jantjes größter Wunsch, ebenfalls einmal für die Herrscherfamilie das Leinen zu schrubben oder die Betten zu machen. Unvorstellbar für Maikea. Aber die Andersartigkeit störte die beiden Mädchen nicht, im Gegenteil, sie bereicherte ihre Freundschaft sogar.
    Jantje verteidigte ihre neue Bettnachbarin tapfer, wenn die anderen Heimkinder sie als»Wide von der Insel « hänselten. Zum Glück war sie beliebt, und die anderen hörten bald auf sie und unterließen die Lästereien. Maikea dagegen half dem wesentlich kleineren, etwas rundlichen Mädchen mit den großen dunklen Augen und den roten Wangen, wenn es schwere Lasten zu tragen gab oder sie an etwas gelangen musste, das ganz oben im Schrank lag.
    Ihre Freundschaft war nach wenigen Tagen bereits so fest, als hätten sie sich schon ein Leben lang gekannt. Insbesondere in der Weberei, die neben dem Wohnhaus lag und in der die Mädchen ihre Nachmittage verbringen mussten, wäre Maikea ohne sie sehr unglücklich gewesen.
    »Diesen Lappen würde ich nicht einmal in die Hand nehmen, um damit den Küchenboden aufzuwischen.« Die Rauschweiler stand hinter Maikea, mit verschränkten Armen und gerümpfter Nase.
    Seit drei Wochen postierte die Leiterin der Weberei sich nun schon jeden Tag in ihrem Rücken, blickte ihr misstrauisch über die Schulter und schimpfte, selbst wenn Maikea sich noch so sehr anstrengte, alles richtig zu machen.
    Jantje lächelte jetzt zu ihr hinüber. Manchmal zwinkerte sie ihr auch zu, um Maikea daran zu erinnern, wie sie sich abends flüsternd über ihre strenge Lehrerin lustig machten. Die Rauschweiler war so mager, man wunderte sich, dass ihre Knochen beim Gehen nicht klapperten und knirschten. Zudem machte sie stets ein Gesicht, als habe sie eben in einen unreifen Apfel gebissen.
    Maikea blickte auf ihre Finger. Sie waren rot und wund. Obwohl alle gesagt hatten, nach einer Woche würde sich die Haut an die raue Wolle und das einschneidende Leinen gewöhnt haben, tat die Arbeit am Webstuhl noch immer weh.
    Warum hakten die Kämme zum Festschieben des Wollgarns nur bei ihr? Die Schiffchen der anderen Webstühle rauschten nur so zwischen den gespannten Kettfäden hindurch. Und niemandem außer ihr schien es Schwierigkeiten zu bereiten, mit dem Pedal die Schäfte zu verstellen. Die anderen hatten schon eine Elle vollendet, wenn sie gerade mal eine Handbreit gewebt hatte – und das auch mehr schlecht als recht, denn von einem festen Musterstoff war ihr Ergebnis noch weit entfernt.
    »Wir weben hier in Ostfriesland den Fiefschaft«, erklärte die Rauschweiler streng.»Das bedeutet, die Leinenfäden müssen jedes fünfte Mal über dem Schuss liegen. Und dann musst du das ganz dicht heranschieben.« Sie griff von hinten in Maikeas Arbeit und hantierte geschickt mit dem hölzernen Kamm. Ihre Bewegungen waren voller Ungeduld und Wut.»Das soll einmal ein feines Tuch für eine Tracht werden! Aber wenn ich mir dies hier so anschaue, dann würde ich es eher für eine Satteldecke halten … Wie willst du überhaupt jemals einen Mann finden, wenn du dich so ungeschickt anstellst? Immerhin bist du schon fast zwölf! Bald wirst du für dich selbst sorgen müssen. Und

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