Die Inselvogtin
bei Ebbe.
Wenn das Pastor Bilstein ist, dachte Maikea, musste er wesentlich jünger sein als Pastor Altmann. Dennoch wirkte er betagt und müde. Er lächelte nicht und streckte ihnen auch keine Hand zum Gruß entgegen. Er sagte nur:»Noch zwei hungrige Mäuler, die es zu stopfen gilt.« Dann zeigte er mit ungeduldiger Geste in den Flur.
»Los, los! Es ist schon viel zu spät. Das Nachtgebet ist gesprochen, und die Teller sind ohnehin längst leer gegessen und abgeräumt.« Er musterte die beiden Neuankömmlinge mit skeptischem Blick, strich mit einem Finger fest über Maikeas Wange und hielt ihn in das karge Flurlicht.»Ein schmutziges Mädchen bist du.«
Maikea musste schlucken. So etwas Gemeines hatte noch nie ein Mensch zu ihr gesagt.»Wir waren ja auch den ganzen Tag unterwegs und … «
»Hier wird nur gesprochen, wenn man etwas gefragt wurde, verstanden?«
Der Mann, der sich noch nicht einmal vorgestellt hatte, aber allem Anschein nach der Leiter in diesem Haus war, schob sie hinter der stummen Frau in den Flur.»Helene zeigt euch die Waschräume, dann weist sie euch die Betten zu. Ich erwarte, dass ihr keinen Lärm macht, kein Wort sprecht und niemanden durch euer Benehmen aus dem Schlaf reißt. Denn morgen heißt es bei Sonnenaufgang aufstehen, damit alle ihr Tagewerk im Namen Gottes erledigen können.«
Damit machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand durch eine Seitentür.
Die stumme Frau zog Maikea hinter sich her. Weert folgte mit schlurfendem Schritt. Es war schwer, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, aber er schien auch nicht gerade erfreut über den Empfang zu sein.
Er baute sich auf, wie er es immer tat, wenn er protestieren wollte.»Soweit ich weiß, zahle ich aus dem Erbe meines Vaters eine Menge Geld an dieses Haus, also kann ich doch … «
Helene drehte sich hektisch um. In ihren Augen spiegelte sich Angst. Sie legte den Finger auf die Lippen und brachte Weert damit zum Schweigen.
Obwohl sich Maikea manches Mal gewünscht hatte, ihr Erzfeind hielte für einen Moment seinen Mund, wäre es ihr heute lieber gewesen, er hätte weitergesprochen.
Die junge Frau zog sie schweigend weiter. Sie war recht hübsch und hielt ihr wildes Kraushaar im Nacken zusammengebunden.
Im Flur roch es jetzt nach Kohl und Brot, der Raum links schien der Speisesaal zu sein. Ein Dutzend eng aneinandergestellte Holztische und Bänke lagen im Halbdunkel. Maikea hatte Durst und Hunger, aber die Worte des Heimleiters waren eindeutig gewesen: Für sie gab es heute nichts mehr zu essen.
Im hinteren Bereich führten Stufen in das obere Stockwerk. Noch nie hatte Maikea ein zweigeschossiges Haus betreten. Die steile Stiege war ihr nicht ganz geheuer, und sie umfasste Helenes Hand noch fester. Was, wenn die Dielen nachgaben und sie in die Tiefe stürzten?
Aber als sie oben ankamen, stellte Maikea erleichtert fest, dass nichts schwankte und der Boden unter ihren Füßen standhielt. Sie wurden in ein enges Zimmer geführt, in dem einige Wasserschalen und Krüge aufgestellt waren. Es roch merkwürdig hier, nach Ölen oder Salzen. Maikea hatte so einen Duft noch nie in der Nase gehabt.
Als sie die grauen Würfel sah, die neben den Waschschüsseln lagen, wusste sie allerdings, dass es sich um Seife handelte. Damit wuschen sich die feinen Herrschaften, das hatten die Insulaner immer erzählt.
Helene bedeutete ihr, sich zu entkleiden, dann führte sie Weert aus dem Raum. Maikea war erleichtert. Sie hätte nicht gewollt, dass er ihr dabei zusah.
Langsam schob sie ihr Kleid über den Kopf. Sand rieselte heraus. Sie zuckte kurz zusammen, Juister Sand. Er lag auf dem Boden, und ihre Zehen konnten die feinen Körner spüren. Es war zu wenig, als dass sie ihn zusammenfegen und aufbewahren könnte. Wie gerne hätte sie ein Andenken gehabt an die Insel, nach der sie sich jetzt schon so sehr sehnte, dass es ihr in der Brust wehtat.
Das Wasser war kalt und stank. Auf Juist hatten sie einen Brunnen gehabt, aus dem man klares, frisches Süßwasser aus der Tiefe holen konnte. Es fühlte sich gut auf der Haut an und schmeckte besser als alles andere, was Maikea je getrunken hatte. Aber in diesem Waschraum würde sie ihren furchtbaren Durst nicht stillen können, diese milchige, trübe Brühe könnte sie nie herunterschlucken.
Maikea trug jetzt nichts mehr außer der Kette, an der das Medaillon ihrer Mutter baumelte. Vorsichtig öffnete sie den Verschluss und starrte auf die zwei Porträts ihrer Eltern, als sie noch jung waren. Als
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