Die Inselvogtin
bei deiner Ungeschicklichkeit wird das schwierig. Und wenn du dann keinen Mann findest … «
»Aber Sie sind doch auch unverheiratet, oder nicht?«
Jantje legte angstvoll den Finger auf ihre Lippen, doch Maikea dachte nicht daran zu schweigen. Die letzten drei Wochen hatte sie sich dieses bösartige Gerede schon anhören müssen. Außerdem war sie es leid, in zu engen Betten schlafen zu müssen und dreimal am Tag auf den Knien zu beten. Das Essen war wässrig und in jämmerliche Portionen eingeteilt. Und zu allem Überfluss waren sie gezwungen, nach dem Unterricht noch fünf Stunden am Tag für ihren Unterhalt zu arbeiten.
»Ich vergaß «, kam prompt die bissige Reaktion der Lehrerin.»Ich habe es hier ja mit einer Wilden zu tun. Was kann man von einem Inselkind außer unflätigem Benehmen und linkischem Ungeschick schon erwarten?«
»Nun, ich kann lesen, rechnen und schreiben. Und ich kann Vogelarten bestimmen und Heilkräuter sammeln. Ich weiß, wie man Strandhafer pflanzt und einen Gemüsegarten pflegt und … «
»Halt den Mund!«, fuhr die Rauschweiler dazwischen.»Du weißt genau, was der Herrgott vom Hochmut hält. Als Junge könntest du auf all diese Dinge stolz sein, als Mädchen solltest du dich schämen!«
Ein sonores Räuspern ließ sowohl Maikea wie auch die Lehrerin zusammenzucken.
»Gibt es Probleme?«, fragte Pastor Bilstein.
»Dieses Mädchen hier ist ein einziges Problem «, gab die Rauschweiler zur Antwort und schlug demonstrativ auf Maikeas Rücken.»Sie will nicht arbeiten, und sie gibt Widerworte, wenn ich sie zur Sorgfalt ermahne. Pastor, wirklich, ich glaube, das Kind ist für unser Heim nicht tragbar.«
»Soso.« Pastor Bilstein kratzte sich den Bart. Er war ein unleidlicher Mann; die Kinder trauerten dem vor vier Jahren verstorbenen Gründer des Waisenhauses nach, der ein warmherziger Mann gewesen sein soll. Sein Nachfolger hatte schon nach zwei Jahren das Weite gesucht, und auch dem aus Halle herberufenen Pastor Bilstein schien die Leitung des Heims nicht so sehr zu behagen. Außerhalb der Andachten, die dreimal am Tag in der kleinen Kapelle stattfanden, ließ er sich nur selten blicken. Man munkelte, er sitze stundenlang in seiner Schreibstube und zerbräche sich den Kopf, wie man das Geld für die Erhaltung des Heimes aufbringen könnte. Denn – so viel hatte Maikea schon verstanden – er hatte bei den Regierenden Rechenschaft über seine Arbeit abzulegen.
Fürst Georg Albrecht war zwar ein sehr frommer Mann und seine Frau Fürstin Sophie Caroline die Schirmherrin des Waisenhauses, dennoch achtete Kanzler Brenneysen sehr genau darauf, wo im Namen der Herrscher Geld ausgegeben oder eingenommen wurde. Erschwerend kam hinzu, dass die Handwerker und Bauern in der Stadt es nicht gerade begrüßten, wenn die Heimkinder ihre Ware auf dem Markt anboten. Mehr als einmal waren die Glasscheiben im Amtszimmer des Pastors zertrümmert gewesen. Und viele Einwohner drehten dem Pastor den Rücken zu, wenn er durch die Straßen lief. Angeblich waren die Gottesdienste des zweiten Pastors von Esens auch stets besser besucht als die von Pastor Bilstein. Sonntags füllten seine Messen in St. Magnus nur die vordersten Reihen.
Sein Missmut war also gefürchtet. Und nun sah Maikea sich seinem unverblümten Groll ausgeliefert. Doch statt die Schultern einzuziehen und den Kopf gesenkt zu halten, drehte sie sich um, setzte sich kerzengerade hin und blickte dem Gottesmann direkt in die Augen.
»Die Lehrerin hat recht: Ich tauge nichts am Webstuhl. Aber ich bin trotzdem gern bereit, mich nützlich zu machen für das Heim. Wenn Ihr mir doch nur die Möglichkeit dazu gäbet … «
»Wer bist du, dass du mir etwas vorschreiben willst?« Das Gesicht des Pastors verfärbte sich rot.
Jeder wusste, dass er nicht angesprochen werden wollte, erst recht nicht von einem seiner Zöglinge.
Doch Maikea dachte nicht daran zu kuschen. Sie entschied sich, seine Frage wörtlich zu nehmen, stand auf und streckte ihm die Hand entgegen.
»Maikea Boyunga. Tochter des Inselvogtes von Juist. Ihr habt in einem Schreiben an meine Mutter gesagt, dass es Euch eine Ehre sei, mich in Eurem Heim zu erziehen. Im Dezember werde ich zwölf Jahre alt. Und ich mache alles, was Ihr von mir verlangt. Hauptsache, ich muss nie wieder an diesem schrecklichen Webstuhl sitzen.«
»Wie kannst du es wagen, so wenig Respekt vor dem Pastor an den Tag zu legen?« Die Rauschweiler schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Sofort brannte die
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