Die Inselvogtin
Stelle heiß.
Vor allen Leuten geschlagen zu werden, weil man seine Meinung geäußert hatte, war schmerzhaft. Doch Maikea blieb stehen.
»Pastor, ich kann schwere Dinge heben, ich weiß, wie man Gemüse pflanzt, und ich kann einen Spaten halten. Ich -«
»Jetzt ist Schluss!«, dröhnte der Pastor und haute mit der Faust auf den Webstuhl, sodass das Holzgestell wackelte. Den anderen Kindern stockte der Atem. Selbst Maikea war jetzt eingeschüchtert. Hatte sie es zu weit getrieben?
»Pastor Bilstein?« Die Unterstützung, die Maikea in diesem Moment so dringend brauchte, kam aus einer Ecke, in der man sie nicht vermutet hätte. Kleinlaut erhob sich Jantje von ihrem Arbeitsplatz, strich sich den Rock glatt und zeigte ihr schönstes Lächeln.
»Pastor, es gibt da etwas … « Sie schlug die Augen nieder und senkte demütig den Kopf. Ihre langen, dunkelblonden Zöpfe baumelten über die Schultern.»Dürfte ich reden?«
»Ja, meinetwegen. Aber unterstehe dich, mich belehren zu wollen, Jantje Haddenga!«
»Es ist … Meine Mutter, sie arbeitet doch am Hof.«
»Das weiß ich, Kind. Komm zur Sache!«
»Also, die Fürstin Sophie Caroline … nun ja, sie ist doch unsere Schirmherrin und wünscht, mehr aus unserem Hause zu erfahren.«
Die Gesichtsfarbe des Pastors wechselte augenblicklich ins Aschfahle. Wie klug von Jantje, ihr Anliegen mit den Wünschen der Obrigkeit zu verknüpfen, dachte Maikea. Aber worauf wollte ihre Freundin eigentlich hinaus?
»Könnte Maikea nicht … Also, ich meine, sie ist doch stark und gut zu Fuß, könnte sie nicht so etwas wie eine Botin sein?«
»Eine Botin?« Pastor Bilstein lachte.»Die Idee ist vielleicht nicht die schlechteste. Aber dazu bräuchten wir eher einen unserer älteren Jungen. Dieser Weert Switterts zum Beispiel, er ist ohnehin zu alt für die Schulbank … «
»Aber denkt doch an den Weißen Knecht und seine Leute. Die Bande soll schon öfter Kuriere in ihre Gewalt gebracht und ihnen Geheimnisse entlockt haben, die nur für die Ohren des Fürsten bestimmt waren. Bei einem Mädchen würde er wohl nie auf den Gedanken kommen.«
Dem Pastor war nur unschwer vom Gesicht abzulesen, dass ihn das Thema allmählich anwiderte, aber er würde in der Angelegenheit noch ein Machtwort sprechen müssen. Maikea wagte kaum zu hoffen, dass er Jantjes Idee zumindest überdenken würde.
Pastor Bilstein stand in der Tür, schaute von Jantje zur Rauschweiler und schließlich zu Maikea. Dann räusperte er sich.
»Nein. Ein Mädchen hat am Webstuhl zu arbeiten. So will es Gott, so hat es mein seliger Vorgänger festgelegt, so ist es vom Fürsten bestätigt. Also streng dich an, Inselmädchen, und sei dankbar und fleißig.« Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum.
Jantje schaute ihm enttäuscht hinterher, dann schenkte sie ihrer Freundin einen mitfühlenden Blick und zuckte traurig mit den Schultern. Maikea würde ihr dennoch für immer dankbar sein.
7
J e länger Weert die Frau beobachtete, desto besser gefiel sie ihm. Ihre wilden Locken verleiteten ihn zum Hineingreifen. Und dass sie so mager war, hatte auch einen gewissen Reiz: Wenn sie sich bückte, um Mehl aus dem Vorratsraum zu holen, schlotterte ihr das Kleid um den Oberkörper. Er konnte dann ihre festen, blassen Brüste sehen, was ihn erhitzte. Er wollte sie haben. Es drängte ihn geradezu, sie überall berühren zu können.
Weert war beinahe fünfzehn, und es wurde Zeit, dass er sich wie ein Mann benahm. Deshalb legte er es immer wieder darauf an, Helene zu treffen.
Auch in der Stadt kreuzten sich ihre Wege oft, denn aufgrund einer glücklichen Fügung hatte der Pastor ihn von der mühsamen Gartenarbeit erlöst und stattdessen zu seinem persönlichen Laufburschen gemacht. Weert kam herum und kannte mittlerweile so ziemlich jeden, der in Esens wichtig war. Und er verdiente sich ein kleines Zubrot. Denn die Briefe, die er für seinen Auftraggeber austrug, enthielten nicht selten Informationen, für die man im Ort gern ein paar Mariengroschen zahlte.
An diesem Mittag war Weert auf dem Weg zum Tuchmacher, der sich immer sehr für die Gewinne aus der Weberei des Kinderheims interessierte. Helene kam gerade aus der Bäckerei und hatte einen Korb unter dem Arm, in dem vier Laibe Brot lagen. Sie schleppte schwer daran.
»Kann ich helfen, meine Hübsche?«, versuchte er es.
Doch Helene schüttelte nur wortlos den Kopf und wurde noch nicht einmal langsamer. Weert lief hinter ihr her, tanzte zwei- oder dreimal um sie herum und
Weitere Kostenlose Bücher