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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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kursierte das Gerücht, dass sich für den heutigen Montag hoher Besuch angekündigt hatte. Die Schirmherrin, Fürstin Sophie Caroline von Ostfriesland höchstpersönlich, würde am frühen Nachmittag kommen. Gemeinsam mit ihrem Stiefsohn wolle sie nach dem Rechten schauen, hieß es. Deshalb war es dem Pastor auch so wichtig, eine reichhaltige Mahlzeit auf den Tisch zu bringen.
    Die vierzig Kinder der Einrichtung erwarteten daher nicht wie sonst Buchweizenpfannkuchen, Kohlsuppe oder Updrögt Bohnen, sondern ein Festmahl. Verdient hatten sie es schon lange, fand Maikea. Schließlich arbeiteten alle hart für ihren Lebensunterhalt. Und schon jetzt freute sie sich auf die Gesichter, wenn in einer Stunde das Essen serviert würde.
    Wehmütig blickte Maikea aus einem der großen Küchenfenster. Ende September schien alles grau und nochmals grau. Der Himmel über Juist war da schon einfallsreicher gewesen: aufgetürmte Sturmwolken und Regengüsse, die man aus der Ferne beobachten konnte. Sie hatte seit unendlich vielen Wochen das Meer nicht mehr gesehen, und die Sehnsucht nach dem Strand und den Wellen wurde von Tag zu Tag größer. Es gab für jeden Menschen einen Platz, da war sich Maikea sicher, und ihrer war weder am Webstuhl noch in der Küche.
    »Wie gern würde ich nur für einen Tag zurück zur Insel … « Maikea seufzte, und plötzlich kamen ihr die Tränen.
    Helene schaute sie von der Seite an. Das Mitgefühl war ihr an den Augen abzulesen, sie nickte stumm, wobei sich eine dunkelblonde Locke aus ihrem zurückgebundenen Haar löste.
    »Es ist komisch «, sagte Maikea stockend.»Auf Juist war ich tausendmal freier, obwohl die Insel vom Meer eingekreist ist. Hier dagegen fühle ich mich wie eine Gefangene.«
    Sie sprach mehr zu sich selbst, denn von der stillen Helene erwartete sie eigentlich keine Antwort.
    »Wäre ich doch nur als Junge auf die Welt gekommen. Dann müsste ich nicht mein Leben lang am Webstuhl hocken oder Kohl schnippeln, sondern könnte auch als Bote durch die Gegend fahren. Oder Inselvogt werden.«
    »Wer sagt dir, dass du das alles nicht kannst?«, fragte Helene plötzlich. Maikea hatte kaum eine Erinnerung an die Stimme der jungen Frau gehabt. Seit ihrer Ankunft im Heim und Helenes Mut machenden Worten in jener Nacht war kein weiterer Satz von ihr zu hören gewesen.
    »Alle sagen es. Meine Mutter, der Pastor, die Menschen überhaupt.«
    »Es gibt auch andere Menschen, Maikea.« Helene flüsterte jetzt und schaute sich in der Küche um, doch außer ihnen war gerade niemand da. Der Koch, ein recht freundlicher Mann mit dickem Bauch, schaute im Vorratsschuppen nach dem Rechten. Die zweite Küchenhilfe deckte das Geschirr ein.
    »Es sind alles Stiefellecker des Fürsten. Sie machen, was ihnen von oben gesagt wird. Jeder von ihnen ist gefangen im engen Netz der Mächtigen, egal ob Frau oder Mann. Wenn du so lebst wie sie, wirst du niemals frei werden!«
    Maikea traute sich kaum zu atmen. Was Helene da sagte, klang gefährlich.
    »Ich kenne auch andere Menschen. Hast du schon einmal etwas vom Weißen Knecht gehört?«
    Maikeas Mund wurde trocken. Der Weiße Knecht, von dem Eyke, der Schiffer, immer die aufregendsten Abenteuer erzählt hatte? Der brutale Rebell, der sich in Leer eine Schlacht mit den Soldaten geliefert hatte?
    »Kennst du ihn etwa?«
    Helene schwieg wieder. Hatte Maikea die falsche Frage gestellt?
    »Was macht der Weiße Knecht denn anders?«
    »Er hat im Gegensatz zu den Pfaffen und Fürstentreuen die richtigen Ziele.«
    »Und welche sind das?«
    »Die Freiheit eines jeden Einzelnen.«
    »Aber ich dachte immer, er will der Gemeinschaft schaden. Er kämpft doch gegen die Steuern und ruft zum Krieg auf. So hat man es sich jedenfalls auf Juist erzählt.«
    »Über den Weißen Knecht und seine Leute wird viel erzählt. Und das meiste sind Lügen.«
    »Und woher kennst du die Wahrheit?«
    Tatsächlich färbte sich Helenes sonst so blasse Haut nun in ein glühendes Rot. Sie wirkte so seltsam aufgeregt, wie Maikea es sonst nur bei den Juister Jungfrauen gesehen hatte, wenn Eyke mal wieder seine Hand unter einen Rock schob.
    In diesem Moment kam der Koch zurück. Er machte ein grunzendes Geräusch, schaute skeptisch in den großen Kochtopf und dann von Helene zu Maikea.
    »Wehe, ihr versalzt mir das Essen «, knurrte er.
    Augenblicklich begann Helene wieder, mit dem Messer zu hantieren. Maikea rührte im Topf. Ihr war heiß geworden.
    Es gab also Menschen, die für ihre Freiheit kämpften.

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