Die Inselvogtin
dass es so etwas am Hofe höchst selten gab.
Ein Page kündigte die Namen an:»Ihre Durchlaucht, Fürstin Wilhelmine Sophie von Ostfriesland, an der Seite des geachteten Obersten Geheimrats Weert Switterts.«
Ein kleine Gruppe Musiker stimmte ein Lied an, und die allgemein fröhliche Stimmung wurde weiter angeregt, als Tabletts herumgereicht wurden, auf denen Dinge lagen, die der Weiße Knecht noch nie gesehen, geschweige denn gegessen hatte. Auch an ihn wurde herangetreten, es gab Wein und Wasser. So oft hatte er schon von der verschwenderischen Kultur in diesem Schloss gehört, nun war er selbst Teil davon – wenn auch nur für einen überschaubaren Moment. In wenigen Minuten würde offenbar werden, dass er nicht dazugehörte, ein Fremder war, ein Feind.
Der falsche Sekretarius schlich sich langsam und ohne aufzufallen Richtung Fenster. Der Weiße Knecht verfolgte jeden seiner Schritte durch eine schmale Lücke zwischen den weißen Lockenköpfen.
Die Fürstin nahm mit einem Glas Wein in der Hand auf einem gewaltigen Stuhl Platz, neben ihr saß Carl Edzard, der weit weniger gute Laune zu haben schien. Der stattliche Geheimrat baute sich an einem kleinen Pult auf und sah sich zufrieden um. Als er sich zu einem unechten Lächeln hinreißen ließ, klaffte eine Zahnlücke in seinem Mund.
Dieser Kerl hatte tatsächlich behauptet, der gefürchtete Rebell hätte ihm einst im Waisenhaushof das Gebiss ramponiert. Nein, dachte der Weiße Knecht, wenn ich derjenige gewesen wäre, dann würden dir in der unteren Reihe ebenfalls Zähne fehlen.
Weert Switterts räusperte sich.»Ein Jahr liegt hinter uns, voller wunderbarer Dinge, aber auch voller Leid.« Er genoss es augenscheinlich, im Mittelpunkt zu stehen. Neben ihm wirkte das Fürstenpaar wie Statisten in einer Theaterposse.»Es gab eine Hochzeit, die unser Land um eine weitere enge Verbindung zum Hof in Bayreuth bereichert und uns zudem eine neue Fürstin geschenkt hat. Wir sind stolz und entzückt, die liebreizende Durchlaucht Wilhelmine Sophie … «
Der Weiße Knecht ahnte, diese Lobrede würde weder spannend noch wahrheitsgetreu werden. Denn die Fürstin war alles andere als liebreizend, das war nicht zu übersehen, auch wenn sie noch so zufrieden lächelnd in die Runde schaute. Sie war hager und hatte die Augen einer Möwe, hell und kalt, aber auch genauso scharfsinnig. Und stets, wenn der Geheimrat eine kleine humorvolle Pointe oder ein Kompliment in seinen Satz einbaute, zog sie die Mundwinkel noch eine Nuance weiter nach oben. Als er aber vom Tod des alten Fürsten, von den Missernten oder dem plötzlichen Ableben Brenneysens sprach, war ihr die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben.
Sie machte ihre Sache glänzend, dachte der Weiße Knecht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses gerissene Weibsstück die Zügel in die Hand nahm und die Amtsgeschäfte für ihren Gatten regelte. Wenn es ihr dann noch gelang, einen Sohn zu gebären, wäre sie für den Fürstenhof die perfekte Besetzung.
Carl Edzard hingegen schien sich nicht für die Veranstaltung zu interessieren. Er blickte aus dem Fenster, seufzte ab und zu weltvergessen und griff öfter als jeder andere zu den Leckereien.
Tosender Applaus verriet, dass die Rede vorüber war. Nun war der Gesandte des dänischen Königshauses an der Reihe und verlas eine schier endlose Liste mit den Namen der Königsfamilie, die alle ihre Grüße und guten Wünsche aussprechen ließen. Der Fürst unterdrückte ein Gähnen.
Der Geheimrat trat nun wieder ans Rednerpult und verkündete:»Wir bitten jetzt den Gesandten des Hofes Braunschweig nach vorne, den hoch geachteten Dr. von Wolfenbüttel … «
Der Weiße Knecht spürte, wie sich sein Blut zu erhitzen schien, als lodere in seinem Inneren ein Feuer auf. Mit einem großen Schritt trat er nach vorn, schob Switterts zur Seite und schaute in die Menge. Noch schien niemand besonders irritiert zu sein.
»Dr. von Wolfenbüttel lässt sich entschuldigen, er konnte heute leider nicht kommen.«
Erstauntes Gemurmel brandete im Saal auf, bis der Geheimrat das Wort ergriff.»Und wer seid Ihr? Sein Vertreter?«
»Nein, das würde ich so nicht ausdrücken.« Während der Weiße Knecht für Verwirrung sorgte, schlich Tammo sich unauffällig nach links, bis er genau vor dem Thron der Fürstin stand. Aus seinem Umhang holte er ein Messer hervor und nickte dem Rebellenführer kurz zu. Als der Weiße Knecht die Geste sah, riss er sich mit einer schnellen Bewegung die Perücke vom
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