Die Inszenierung (German Edition)
keinen anderen berührt habe. Ich gebe jetzt zu, ich wollte dich reizen oder locken. Ich wusste nicht, was ich tat. Aber ich wollte überhaupt nicht selber von der Klippe springen. Ich wollte zuschauen, vielleicht genießen, wie du springst. Es ist anders gekommen. Ich bin mitgerissen worden. Ich habe geglaubt, es sei alles vorbei. Ich habe geglaubt, ich hätte alles hinter mir. Ich habe geglaubt, ich halte es jetzt aus. Ohne alles. Und was habe ich jetzt erlebt: Als alles vorbei war, fing es an. Mir wird heiß, wenn ich an dich und mich denke. Mir wird andauernd heiß jetzt. Das macht mich unfähig, noch da zu sein für etwas anderes als für dich und für mich beziehungsweise für uns. Jetzt will ich nur noch mit dir aufwachen, nur noch dir meine Träume erzählen, nur noch dir meine Lieblingsgedichte von Erich Fried vortragen, nur noch dich von Kopf bis Fuß eincremen, nur noch mit dir Hemden kaufen, nur noch von dir geschlagen werden, nur noch deine Zukunft sein, nur noch deine Wäsche waschen, nur noch dir meine Phantasien verraten, nur noch von dir mich anfassen lassen, nur noch deine Oberhemden tragen und sonst nichts, nur noch ein Tattoo mit deinen Initialen, nur noch hemmungslos mit dir sein, nur noch dir treu sein, sag, wie muss ich sein, dass ich dir wichtig bin?! Kannst du dir unter einer unterwürfigen Frau mit starkem Willen etwas vorstellen? Ich mag es, wenn du mich ständig küsst. Ich mag es, wenn du mir besitzergreifend zwischen die Schenkel fasst. Ich mag es, wenn du mich liebst. Ich mag nur noch dich. Ich bin leider wahnsinnig. Deine Ute-Marie.
Augustus hat das liegend angehört. Jetzt steht er auf. Er führt Ute-Marie zum Sessel. Sie soll sich setzen. Als sie sitzt, kniet er nieder. Er zieht ihr die Schuhe aus. Zieht ihr die Söckchen aus. Küsst ihre Füße. Behält ihre Füße in seinen Händen. Zieht ihr alles wieder an. Steht auf, will ihr die Haare lösen. Das lässt sie nicht zu. Das Blatt mit ihrem Text legt er in die Schublade neben seinem Bett.
Eine unterwürfige Frau mit starkem Willen. Du hast mich eingeschüchtert. Dagegen sind meine Arien Stotterstudien. Ich fliehe zu Anton Pawlowitsch. Dass du nicht alles verstanden hast, aber dein Nichtverstehen sehr wohl verstanden hast, das macht, was im Stück passiert, brauchbar. Für uns. Kostja, hast du ihn verstanden?
Ich habe verstanden, dass er der Interessanteste ist. Weil er der Unglücklichste ist. Das ist bequem. Er liebt Nina, sie liebt ihn nicht. Das kapier ich. Dieses An-einander-vorbei-Lieben. Sie will Schauspielerin werden. Darum wird auf diesem Landgut Kostjas Stück aufgeführt. Also ist auf der Bühne noch eine Bühne, und auf der soll Kostjas Stück gespielt werden. Nina spielt das Stück. Und versteht es nicht. Und ich versteh es auch nicht. Aber schon vor der Aufführung sagt er ihr, dass er sie liebt. Sie aber liebt den Berühmten, den doppelt so Alten, den Schriftsteller Trigorin. Und dann, im 2. Akt, kommt Kostja mit der toten Möwe, legt sie vor Nina hin, sie fragt, was das bedeuten soll. Und Kostja: Er habe heute aus Gemeinheit diese Möwe getötet. Er legt sie ihr zu Füßen. Nina weiß nicht, was das soll. Und er: Bald werde er sich genauso töten. Nina versteht immer noch nichts. Sie legt die tote Möwe auf eine Bank, sagt, dass das wohl ein Symbol sein soll. Sie sei zu einfach, um seinen Gedanken zu folgen. Aber er führt ihre Ablehnung auf den Misserfolg seines Stückes zurück. Frauen, sagt er, verzeihen keinen Misserfolg. Das versteht er, sagt er. Sie halten mich für einen Misserfolg. Sie halten mich für eine Null. Und da tritt Trigorin auf. Da will Kostja nicht stören. Und geht. Wahrscheinlich hofft er, dass Nina ruft: Bleiben Sie doch. Tut sie nicht. Sie liebt ja den Berühmten. Den Schriftsteller.
An unserem ersten Abend hast du gesagt: Statt Medizinstudium Krankenschwester. Wenn jetzt eine Prominenz auftauchte und dir zeigte, wie du aus dieser Schwesterntracht herausfinden könntest, und der wäre fünfzig und so weiter.
Wie weiter.
Ich spreche von uns. Nina will nichts als Schauspielerin werden.
Für das Glück, Schauspielerin zu sein, würde sie alles in Kauf nehmen. Also sie spekuliert.
Überhaupt nicht. Sie ist geblendet. Sie weiß nicht, dass sie nicht Trigorin liebt, sondern seine Gloriole. Du hast gesagt, dass du mich liebst.
Jetzt willst du mir weismachen, ich liebe nur den prominenten Regisseur und nicht den wirklichen Augustus Baum. Und wenn ich dich Gustl nenne, protestierst du. Für
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