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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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wie du mit mir umgehst. Du machst dir deine eigenen Gesetze. Ich soll mich dem beugen. Dass ich bis jetzt geblieben bin, ist mir vorzuwerfen. Es geht um Leben und Tod. Bei uns. Du glaubst immer noch, es sei ein Spiel. Du führst dich auf. Wir sollen klatschen. Es ist ernster, als du es meinen kannst. Du nimmst ab, Augustus. An Zurechnungsfähigkeit. Je weniger du wirst, desto mehr liebe ich dich.
    Er notiert wieder etwas.
    Was schreibst du auf?!
    Bei JE WENIGER DU WIRST hast du vor dich hin auf den Boden geschaut, so als hättest du Mühe, mich da drunten noch wahrzunehmen. Weil ich so klein geworden bin. Eigentlich bin ich nur ein Landschaftsmaler, alles andere ist verlogen, verlogen bis ins Mark. Liebe Gerda, ich bin auch mein Gegner. Ich bin, hoffe ich, ein ernst zu nehmender Gegner. Ich werde, hoffe ich, mich besiegen. Ich werfe, was ich noch habe, zum Fenster hinaus. Ich höre nicht auf, alles zum Fenster hinaus zu werfen. So reich war ich noch nie. Die Leute draußen bleiben stehen. Sie fangen auf, heben auf, lesen auf, was ich hinauswerfe. Ich habe nicht gewusst, wie reich ich bin. Wie viel ich habe. Erst seit ich, was ich habe, zum Fenster hinauswerfe, erst jetzt sehe ich, wie reich ich bin. Dass wir uns nicht falsch verstehen. Ob ich, was ich habe, zum Fenster hinauswerfen würde, wenn draußen nicht die Leute wären, die, was ich hinauswerfe, auffangen, aufheben, auflesen – und das ist ja auch schon eine feinere Gewohnheit geworden, dieses Auffangen, Aufheben, Auflesen, gäbe es das alles nicht, was dann? –, das wüsste ich erst, wenn die Leute, was ich zum Fenster hinauswerfe, nicht mehr auffangen, aufheben, auflesen würden. Dass ich das je erfahre, da sei Gott vor.
    Wer?
    Gott. Wer sonst? Das musst du auch noch wissen. Wenn die Leute, was ich hinausgeworfen habe, aufgefangen, aufgehoben oder aufgelesen haben, dann schauen sie herauf zu meinem Fenster, aus dem alles geflogen kam. Dann trete ich sofort zurück. Ich will natürlich nicht der sein, der, was er hat, zum Fenster hinauswirft.
    Mach aus deinem Alleinsein keinen solchen Zirkus. Du bist dein einziger Zuschauer.
    Deine Verständnislosigkeit, Gerda, ist … ist meine Rettung.
    Gerda ist aufgestanden, geht jetzt hin und her, bleibt stehen, dann nimmt sie ihre Tasche und die Tasche mit der Wäsche und geht.
    Gerda!
    Das hört sie nicht mehr.

[zur Inhaltsübersicht]
    8
    Augustus prüft wie immer sein Aussehen im Spiegel. Mit Brille, ohne Brille. Ab jetzt ohne Brille. Er hat die eierschalenfarbene Jacke gewählt, die er immer als Regisseur trägt. Dazu den schwarzen Hut. Er ist ein Sportler kurz vor dem Start. Er muss sich in Stimmung bringen. Es muss gut gehen. Alles muss gelingen. Und was gelingen muss, gelingt auch.
    Es klopft. Sein Ja ist nicht stürmisch, nicht hell. Aber bestimmt. Es heißt eher Jawohl als Ja. Lydia tritt ein. Sie wirft ihren Mantel wie immer auf das nie benutzte Sofa neben der Tür.
    Lydia!
    Augustus!
    Wenn ich dich in meinen Armen halte, glaube ich, dass alles gut geht. Lydia, wir müssen ganz anders anfangen. Warum tragen Sie immer Schwarz? Fragt der Lehrer, der in Mascha verliebt ist, die in Kostja verliebt ist, der in Nina und so weiter.
    Ich traure um mein Leben, sagt Mascha. Ich bin unglücklich.
    Stolz soll sie sein. Lydia! Glücklich soll sie sein, dass sie noch lieben kann. Unglücklich sind nur die, die nicht mehr lieben können!
    Wie soll das gehen?
    Mascha muss erleben, dass sie sich gefällt. Eben als Liebende. Als Unglückliche! Ich seh an deinem Gesicht, du begreifst nicht, dass lieben wichtiger ist, als geliebt zu werden. Also wir fangen an mit einer Musik. Hell und blitzend ins Feld rückende Töne. Haydn, Symphonie Nr. 38. Semjon, der unglücklich in Mascha verliebte Lehrer, sagt dann: Ich liebe Sie, halte es vor Sehnsucht nicht aus. Jeden Tag laufe ich sechs Werst her und sechs zurück, und was erwartet mich? Ihre Indifferenz. Da kann er doch stolz sein, dass er das alles tut und nichts dafür kriegt! Lydia! Und wenn wir so anfangen, wenn wir endlich, endlich, endlich die nicht gelingen könnende Liebe feiern – und ich feiere sie, ohne dass ich an das Nicht-gelingen-Können glaube, ich glaube und glaube und glaube, dass die Liebe gelingt, aber das ist trivial! Feiern kann man nur die nicht gelingen könnende Liebe, die einzige Liebe, von der zu reden es sich lohnt! Wir müssen den Tschechow-Text so ins Licht werfen, dass die dunklen Farben zu leuchten beginnen. Wir müssen dem Stück die Trauer nehmen!

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