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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Ursula, die große Anwältin, die immer alles und alle Besiegende. Sie hat Schluss gemacht. Sie hatte keine Ahnung von seinem anderen Leben. Dann auf einmal fliegt alles auf. Hans Georg muss fort. Skandalvermeidung. Das erfahre ich jetzt. Ich hatte lange nichts mehr gehört von ihm. Wir waren Freunde. Habe ich gedacht. Dann nichts mehr. Und er war mein einziger Freund. Wenn man keinen Freund mehr hat, hat man lange genug gelebt. Zu lange. Dachte ich. Je genauer du einen anderen kennenlernst, desto weniger kannst du mit ihm befreundet sein. Dachte ich. Freundschaft ist von allen Einbildungen die schönste. Ich persönlich habe alles getan, Hans Georg nicht merken zu lassen, dass ich unsere Freundschaft über ihren Anlass hinaus, sozusagen eigensinnig am Leben erhalte. Dann glaubte ich zu merken, dass es Hans Georg noch mehr Mühe machte als mir, unsere Freundschaft aufrecht zu erhalten. Meine Freundschaft bedeutete Hans Georg nichts mehr. Das begriff ich. Ging es mir nicht genau so? Zwei Freunde, die einander nicht sagen können, dass sie keine Freunde mehr sind, das ist die Seelenstrapaze überhaupt.
    Und das soll ich jetzt auf die Liebe anwenden? Auf uns?
    Ich habe es dir nur geschildert, weil mir Hans Georg jetzt einen Brief geschrieben hat. Aus Amerika. Die Katastrophe, Ehe kaputt, von seinem Partner getrennt, eine Einsamkeit wie eine Kältekatastrophe. Jetzt entdeckt er mich wieder. Den Herzensfreund.
    Und warum erzählst du mir das jetzt?
    Ich warne dich. Und mich. Du glaubst, wenn du Ute-Marie ein Jahr nach Schweden schickst …
    Ich schicke sie nicht nach Schweden.
    Schweden, Gerda, das läuft nicht. Überhaupt nicht. Ich warne nur! Wenn sie ginge – und dass sie nicht geht, ist sicherer, als dass morgen die Sonne aufgeht –, wenn sie ginge, Gerda, das wäre eine Katastrophe, die zu einem ungeheuren Liebesschub führen würde. Von mir. Von ihr. Das wäre eine Operation ohne Narkose, Gerda. Das wäre die absolute Willkür. Ich warne dich. Wenn du auf Erlöschen setzt, dann veranstalte keine solchen Gewaltakte. Nur deshalb habe ich dir erzählt, was Hans Georg und letzten Endes auch mir durch ihn passiert ist. Ich fühle mich ihm jetzt näher als je zuvor. Du solltest seinen Brief lesen. Keine Sekunde lang wurde offenbar überlegt, ob Ursula ihm seinen Freund gönnen könnte. Vielleicht hat er gebettelt: Sei eine wirkliche Freundin, gib mich frei.
    Wie wenig du die Menschen kennst.
    Die Frauen.
    Die Menschen!
    Wenn ich sagen würde: Gerda, gib mich frei.
    Ich habe Angst um dich.
    Wenn ich sagen würde: Jetzt ist die Liebe endlich da.
    Du bist nicht mehr zurechnungsfähig. Wieder einmal. Du bist verrückt.
    Gern.
    Du bist übergeschnappt.
    Nur zu gern.
    Ich muss dir sagen: Ich allein sage dir noch die Wahrheit. Alle um dich herum, alle lügen dich an.
    Augustus notiert etwas.
    Was notierst du da?
    Dass du dich bei dem Satz: Ich allein sage dir noch die Wahrheit, umgedreht hast. Diesen wichtigsten aller Sätze hast du mir nicht ins Gesicht sagen können. Ich habe dich, ohne dass du es gemerkt hast, ins Stück hinein verlockt. Genau dieser Dialog findet statt zwischen Trigorin und Arkadina, seiner Lebensgefährtin. Sie klammert sich an ihn, kann ihn nicht freigeben. Also geht sie zum Äußersten: Sie ist die Einzige, die ihm noch die Wahrheit sagt, alle anderen lügen. Und das funktioniert. Trigorin kapituliert. Allerdings, und das erfährt sie nicht, bleibt ihm, da er ja auf Nina nicht verzichten kann, bleibt ihm nur der Betrug. Das Gewöhnliche, Gerda, das Normale, das Alltägliche, das Weltfüllende: der Betrug! Und den wollte ich endlich einmal vermeiden.
    Aber dir muss ich jetzt, um meinerseits an keinem Betrug mehr beteiligt zu sein, dir muss ich sagen, dass deine Inszenierung nicht mehr stattfindet. Schon gestern stand in den Zeitungen, Max Stallhofer steigt aus. Heute: Corinna Demski und so weiter. Da der Regisseur keine Rückkehr in Aussicht stellt. Großes Bedauern. Aber Schluss.
    Augustus sagt lange nichts. Dann lacht er wieder das veranstaltete Tschechow-Lachen. Diesmal aber länger.
    Das ist doch gut so. Ich hätte mit diesen Schauspielern das Stück nicht mehr weitermachen können. In mir hat sich in diesen Tagen eine Fassung des Stücks entwickelt, die nur zwei Schauspieler braucht. Ute-Marie Wiese und, entschuldige, und mich.
    Augustus. Du sagst: Du liebst mich.
    Ich liebe dich. Das ist ganz sicher.
    Ich sage: Wenn du mich lieben würdest, könntest du mir das nicht antun. Es ist verblüffend,

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