Die Intrige
drang und er seine Schwester und die Freunde nicht mehr sehen konnte. Es war wirklich unheimlich, wie die Flamme scheinbar willkürlich die Richtung wechselte.
»Es streicht ein übler Wind um diese Wand«, sagte der erste Mann.
»Und ich sage, ’s ist von Übel, dass wir zu dieser nächtlichen Stund nach Prinzen suchen, die wohlbehalten im Bette liegen sollten«, erwiderte William.
»Prinzen?«, überlegte Jonas. Nicht »König und Prinz?« Was hat das zu bedeuten?
Aber ihm blieb keine Zeit zu grübeln, denn William begann mit seiner Fackel nun ebenfalls an der Wand entlangzufahren, sodass Chip, Katherine und Alex abermals in Hektik gerieten. Sie konnten nicht einfach fortspringen, weil die beiden Männer sich völlig ungleichmäßig bewegten und sie einen Zusammenstoß mit Mann oder Fackel riskiert hätten. Also wichen sie nach rechts und links aus und vermieden mal die eine Fackel, mal die andere.
Mitten im Schwung hielt der erste Mann inne, die Fackel nur knapp über Katherines Schulter.
»Vielleicht gibt es irgendwo eine geheime Kammer, in der die Prinzen sich verbergen? Mag der Wind von dorther kommen, was meint Ihr?«, fragte er.
»Ich meine, dass es gefährlich ist, wenn Leute wie Ihr anfangen, sich den Kopf zu zerbrechen«, sagte der Mann, der William hieß.
Der erste Mann hielt seine Fackel ganz ruhig. Er schien auf ein falsches Flackern zu warten, etwas, das ihn zu der vermeintlichen geheimen Kammer führen würde. Die Fackel brannte vor sich hin, ihre Flamme loderte gleichmäßig in alle Richtungen.
Ein kleines Flämmchen züngelte zu Katherines Schulter hinab. Es erreichte sie nicht ganz; noch musste Katherine sich nicht bewegen. Ihr gequältes Gesicht verriet Jonas, dass sie sich bemühte ganz stillzuhalten, um das Misstrauen des Mannes nicht noch weiter anzustacheln. Aber sie hatte den Pferdeschwanz über die Schulter gelegt, der nun dicht neben der Fackel lag. Irgendeine Kraft – statische Aufladung vielleicht? – sorgte dafür, dass sich einzelne Härchen der Flamme entgegenreckten. Und noch während Jonas entsetzt zusah, sprang eine Flammenzunge auf eines der winzigen Haare über.
Katherines Haare brannten und sie wusste es nicht einmal.
Ohne auf die Männer zu achten, warf sich Jonas nach vorn und drückte Katherine nach unten. Aufhalten, hinwerfen, hin- und herrollen, dachte er verrückterweise. Der Luftzug ließ die Flamme auflodern. Er hatte keine Zeit zum Aufhalten, Hinwerfen, Hin- und Herrollen. Und auch keinen Platz. Er schlug mit dem Armauf Katherines Schulter ein und löschte die schwelende Glut mit dem Ärmel seines Sweatshirts.
Dann sah er sich nach den Männern um, in der Hoffnung, dass sie nichts bemerkt hatten.
Mit angstverzerrten Gesichtern, die im Fackelschein noch gespenstischer wirkten, taumelten sie zurück.
»Hexenwerk«, stammelte der erste Mann.
»Zauberei«, stimmte ihm der zweite zu.
»Oder – Geister?«, schlug der Erste vor.
Jonas begriff, dass das schwelende Haar für sie ausgesehen haben musste wie eine Flamme, die aus dem Nichts auftauchte, plötzlich durch die Luft schwebte und ebenso abrupt wieder verschwand.
Mit merkwürdigen Erscheinungen, die wie aus dem Nichts auftauchten und wieder verschwanden, hatte Jonas so seine eigenen Erfahrungen.
Der erste Mann wandte sich halb um und rief mit leicht zitternder Stimme über die Schulter: »In dieser Ecke ist nichts zu sehen. Nichts.«
Er und William traten den Rückzug an, die Blicke fest auf die Stelle gerichtet, wo die Flamme erschienen war.
»Hier drüben sind wir auch fertig«, rief ein Mann von der anderen Seite der Kammer. »Zurück in den Hof?«
Dann gingen die Männer mit den Fackeln. Sie zogen die Tür fest hinter sich zu und tauchten den Raum wieder in Dunkelheit.
Erschöpft und erleichtert ließ sich Jonas gegen die Wand fallen.
Da traf ihn eine Hand an der Schulter und warf ihn seitlich um.
»Was sollte das gerade?«, zischte Katherine in der Dunkelheit. »Mich vor diesen Männern herumzuschubsen, mich zu schlagen –«
»Du hast gebrannt, Katherine!«
»Ach ja?« Sie klang skeptisch. »Und warum habe ich das nicht mitbekommen?«
»Es war bloß dein Haar«, warf Chip ein. »Jonas hat dir wahrscheinlich das Leben gerettet.«
»Mein Haar?«, heulte Katherine auf. Ein dumpfes Klatschen war zu hören, als wollte sie mit den Händen jede einzelne Locke überprüfen. »Wie … wie viel? Hab ich versengte Haarspitzen? Muss ich mir am Ende alles abschneiden lassen?«
Unglaublich.
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