Die Intrige
Pferdes hatte sich ganz und gar rot gefärbt. Das Tier lag am Boden und rührte sich nicht. Aber Richard war auf den Beinen und setzte sich gegen Heinrich Tudors Männer zur Wehr, die ihn einkreisten.
»Das ist der Satz, den ich noch aus dem Shakespearestück kenne!«, sagte Alex plötzlich. »Jetzt müsste er sagen: ›Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für’n Pferd!‹«
»Und wie geht es bei Shakespeare weiter?«, fragte Jonas.
Im Gegensatz zu dem hoffnungsvollen Gesicht seines Markers legte Alex die Stirn in Falten.
»Keine Ahnung«, sagte er, doch er war abgelenkt, weil er die Schlacht verfolgte.
Richard brauchte wirklich kein Pferd. Er kämpfte tapfer, wurde jedoch von immer mehr Feinden umringt, ohne eine Möglichkeit zur Flucht. Kurz darauf konnte Jonas unter den vielen Helmen und Schwertern, die rings um den König aufblitzten, weder Richards Helm noch seine Krone oder das Schwert mehr erkennen. Dann rollte etwas Rundes, Goldenes aus der Mitte der Kämpfer. Männer traten zur Seite und ließen es passieren.
Es war Richards Krone.
Der König war tot.
Fünfunddreißig
Eine unheimliche Stille lag über dem Schlachtfeld, als hielten alle den Atem an. Dann merkte Jonas, dass es nur sein Verstand war, der den Lärm vorübergehend ausgeblendet hatte. Die Schwertkämpfer schwenkten weiter ihre Schwerter; die Bogenschützen sandten weiter Pfeile aus. Sie konnten im dichten Kampfgetümmel nicht sehen, was dem König zugestoßen war.
Chip dagegen schon.
»Meine Krone!«, schrie er. »Das ist meine Krone!«
Er stürzte los und zog Katherine mit sich.
»Mein Bruder!«, schrie Alex hinter ihm und rannte ebenfalls los.
»Halt, stopp!«, brüllte Jonas. »Wir müssen hier weg!«
Niemand schien ihn zu hören, denn sämtliche Soldaten im Umkreis brachen in lautes Schlachtgebrüll aus und stürmten an Chips und Alex’ Seite davon. Jonas war nicht sicher, ob die Soldaten Chip wirklich helfen wollten, die Krone wiederzuerlangen, oder ob sie es einfach satthatten, herumzustehen. Auf jeden Falleilten sie alle miteinander in die Schlacht, hin zu Heinrich Tudors Männern.
Wie lange wird es wohl dauern, bis Chip seinen ersten Gegner erreicht?, fragte sich Jonas. Er hatte noch HKs Worte im Ohr: »Euer Zeitfenster ist äußerst klein.« Richard hatte Chip und Alex gesehen und Zeit gehabt, in die Schlacht zu reiten und zu sterben. Wie viel Zeit blieb Chip und Alex noch?
Alex versuchte, Jonas’ Arm im Laufen abzuschütteln, was ihn für einen kurzen Moment von seinem Marker trennte. Doch Jonas war störrisch; mit einem Satz drängte er sich dicht an Alex und schlang ihm die Arme noch fester um den Hals.
»Rede du mit ihm«, flüsterte er ihm ins Ohr. »Du kannst ihn überzeugen, dass er von hier fortmuss.«
»Ich mache das, was mein Bruder von mir verlangt«, erwiderte Alex und Jonas konnte nicht erkennen, welche Version von ihm gerade sprach. Er sah kein Anzeichen von Markerleuchten, andererseits schienen seine Augen nicht richtig zu funktionieren, während er zwischen vorbeischwirrenden Pfeilen und niedersausenden Schwertern weiterhoppelte. Allzu weit konnte Alex mit Jonas hinter sich nicht gekommen sein, also war die Schlacht anscheinend zu ihnen gekommen.
»Chip!«, schrie Jonas. »Katherine!«
Das war sein schlimmster Albtraum. Er hatte seine Schwester und seinen Freund aus den Augen verloren.
Was soll ich nur Mom und Dad sagen?, fragte er sich.
Einige Meter weiter vorn wurde das Sonnenlicht von einem Schwert reflektiert und blendete ihn kurzzeitig. Das Schwert fuhr durch die Luft – und prallte auf ein Schwert, das Chip in der Hand hielt.
»Geh und hilf deinem Bruder!«, schrie er Alex ins Ohr. Dieser stürzte los, als hätte er den gleichen Gedanken gehabt. Der alte Mann mit dem Backenbart, dessen Kopfbewegung sie ursprünglich zu Chip und Alex geführt hatte, rannte wie ein Beschützer neben ihnen her und wehrte Angriffe ab. Jonas fragte sich, ob er ein besonderer Freund war – ein Verwandter oder Bediensteter? –, doch für Fragen blieb keine Zeit.
Chip kämpfte nun wie ein Besessener, er hieb mit seinem Schwert hierhin und dorthin und erwiderte jeden gegnerischen Streich. Katherine stand direkt hinter ihm, duckte sich, wenn er sich duckte, und wich jedem Stoß und jeder Parade aus.
»Pass auf!«, schrie sie. »Rechts von dir!«
Aber Chip reagierte bereits, er zog das Schwert zurück und parierte damit die Streitaxt eines anderen Gegners.
»Den übernehme ich!«, rief der Soldat mit dem
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