Die Invasion - 5
ungläubig und wie betäubt, grollte wie Donner, der in der Ferne allmählich über Bergwipfel zieht, Trommelwirbel auf. Das tiefe Grollen vermischte sich mit dem Geräusch unzähliger nackter Füße, die über Deck liefen, und dem Aufschlagen schwerer Stiefel auf den sauber gescheuerten Planken, als Matrosen und Marines auf den Ruf dieses Donnergrollens hin auf die Oberdecks ihrer Schiffe gestürmt kamen. Dann wurden sechs Männer über das Deck geschleift, geradewegs auf die bereits vorbereiteteten Schlingen zu - sechs Männer in priesterlichen Soutanen, geziert mit den purpurnen Schwertern und Flammen des Schueler-Ordens.
»Mein Lord ...!«, setzte Lakyr an. Aber Rock Point vollführte sofort eine knappe Handbewegung: eine scharfe Geste, rasch und ruckartig, das erste Anzeichen echten Zorns, das Lakyr bei dem Charisianer erlebte. Und diese kurze Handbewegung schnitt Lakyrs aufkeimenden Protest ebenso effizient ab, wie ein Schwert das zu tun vermocht hätte.
»Nein, Sir Vyk«, gab Rock Point harsch zurück. »Das ist der Rest der Nachricht meines Kaisers - nicht nur an König Zhames gerichtet, sondern auch an diese Mistkerle in Zion. Wir wissen, wer dieses Massaker provoziert hat, und wir wissen, dass derjenige, der es angeordnet hat, wusste, dass seine Lakaien genau das tun würden, was sie tatsächlich auch getan haben. Und wer charisianische Bürger ermordet, wird sich der charisianischen Justiz stellen müssen ... ganz egal, wer er ist.«
Lakyr musste heftig schlucken und spürte deutlich, wie ihm plötzlich der Schweiß auf die Stirn trat.
Das hätte ich mir nicht träumen lassen, fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf. Nein, darauf wäre ich wirklich nie und nimmer gekommen! Diese Männer dort sind Priester - geweihte Priester, Diener von Mutter Kirche! Die können doch nicht einfach ...
Doch die Charisianer konnten nicht nur, sie taten es auch. Und trotz all seines Entsetzens über die Respektlosigkeit dessen, was hier geschah, musste Sir Vyk Lakyr sich doch eingestehen, dass er den Charisianern ihre Handlungsweise zumindest in einem Winkel seines Herzens nicht zu verübeln vermochte.
Unter den Gefangenen erkannte er Pater Styvyn Graivyr, Bischof Ernyst Jynkyns' Intendanten, den ranghöchsten Angehörigen des Offiziums der Inquisition. Graivyr wirkte wie betäubt, sein Gesicht war kalkweiß ... entstellt von Entsetzen. Die Hände hatte man ihm hinter dem Rücken gefesselt - Gleiches galt für die fünf anderen Inquisitoren, die bei ihm standen. Im selben Augenblick begann sich Graivyr gegen seine Fesseln aufzulehnen, seine Schultern zuckten. Der Bischof schien sich dieses Kampfes nicht einmal bewusst zu sein. Denn sein Blick hing an der Henkersschlinge, die auf ihn wartete, und er bewegte sich wie ein Mensch, der tief in einem Albtraum gefangen ist.
Auch er hätte sich nicht träumen lassen, einem Kirchenmann könne so etwas geschehen, begriff Lakyr. Doch er war zu entgeistert, um etwas anderes zu begreifen: Im Aufruhr der Gefühle, der ihm das Hirn vernebelte, schwang erstaunlicherweise ein ganz bestimmtes mit: Befriedigung.
Graivyr war nicht der einzige Inquisitor, der angesichts der Schlinge schlichtweg nicht glauben wollte, ihm könne der Tod durch den Strang drohen. Einer der anderen Gefangenen setzte sich noch deutlich heftiger zur Wehr als Graivyr, lehnte sich mit aller Macht gegen den eisernen Griff der Marines mit ihren steinernen Mienen auf, die ihn immer weiter zu dem wartende Tau schleppten, und plapperte unverständlichen Protest. Und während Lakyr die unfassbaren Ereignisse beobachtete, die sich vor seinen Augen abspielten, hörte er das Grollen weiterer Trommeln aus den Bäuchen der anderen Schiffe.
Er wandte den Blick vom Deck der Destroyer ab, und sein Gesicht verkrampfte sich noch mehr, als er begriff, dass von den Rahen der anderen Schiffe weitere Taue herabhingen. Er versuchte nicht einmal, sie zu zählen. Wahrscheinlich wäre sein entsetzter Verstand dazu ohnehin nicht in der Lage gewesen.
»Wir haben sämtliche Überlebenden befragt, bevor mein Kaiser den Befehl ausgab, Sir Vyk«, sagte Rock Point, und seine raue Stimme nahm Lakyrs ganze Aufmerksamkeit gefangen. »Schon bevor wir nach Ferayd aufgebrochen sind, wussten wir, wessen Stimmen es waren, die ›Heiliger Langhorne, und keine Gnade!‹ geschrien hatten, als Ihre Männer an Bord unserer Schiffe gekommen sind. Aber wir haben uns nicht ausschließlich auf diese Aussagen verlassen, als wir die Schuldigen ausfindig zu machen
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